© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/23 / 11. August 2023

Dorn im Auge
Christian Dorn

Die Sonne scheint über den Halberstädter Spiegelsbergen, als am Sonnabend das Parkfest eröffnet wird mit Ständen der europäischen Partnerstädte. Tatsächlich herrscht hier „eitel“ Sonnenschein, nutzt es doch der Oberbürgermeister (CDU) zur abermaligen Schau als Alleindarsteller. Diese Form der Selbstpräsentation im öffentlichen Leben – unter Ausgrenzung anderer Stadträte, denen die offiziellen Medientermine verheimlicht werden – hatte bereits in der letzten Stadtratssitzung für Tumult gesorgt. So hatte ein SPD-Stadtrat, nach entsprechender Rüge der AfD-Fraktion (von meinem Schulfreund, mit dem ich 1989 das Abitur ablegte), den OB ob dessen selbstherrlicher Art als „Sonnenkönig“ kritisiert. Als „junger Mann“ (Jahrgang 1982), „dessen Benehmen als frech“ und „überheblich empfunden wird“, erfüllt der OB (so auch mit seinem Verhalten in der Stadtratssitzung) alle Voraussetzungen für den von mir verliehenen Doppelnamen „Szarata-Schnösel“, der jeden Halberstädter ob der trefflichen Charakterisierung sofort erheitert. Dabei begründet der Amtsinhaber die Verheimlichung seiner Termine mit dem angeblichen Hinweis der Polizei, er solle in seiner Funktion als „Angstträger“ (!), so der Freudsche Versprecher, „zu seiner eigenen Sicherheit“ keine öffentlichen Auftritte bekanntgeben – offenbar im expliziten Widerspruch zum Kommunalrecht.

Das fiktive juristische Verfahren endet mit dem zeitlosen Fazit des Richters, der die alte Ordnung vertritt.

Allerdings ganz nach Drehbuch des Deep State, so zahlreiche Augenzeugen des Geschehens vor Ort: Anlaß für das angebliche Bedrohungsszenario ist der berüchtigte Spaziergang gegen den Corona-Maßnahmenstaat am 14. Februar 2022 mit einigen Fackeln, als – offenbar auf Geheiß der von der Polizei vorgegebenen Demoroute und augenscheinlich unter Einschleusung von V-Leuten („Magdeburger Sympathisanten“) bei den Protestlern – ein Angriff auf das Wohnhaus des OB inszeniert worden war. Als der Demonstrationszug an einer Straßenkreuzung, entgegen der eigentlichen Route, von der – an diesem Tag ganz anders postierten und äußerst aggressiv auftretenden – Polizei plötzlich gezwungen wurde, direkt am Wohnhaus vorbeizulaufen, stand dort eine martialische Polizeikette, ausgeleuchtet von Kameras, die bereits Position bezogen hatten. Wie auf Befehl berichteten tags darauf Medien in ganz Deutschland über diese „Bedrohung radikaler Impfgegner“ (unter anderem taz, Spiegel, FAZ, Süddeutsche Zeitung, Die Zeit oder das Redaktionsnetzwerk Deutschland).

 

Kritik findet sich, wie einst zu DDR-Zeiten, eher zwischen den Zeilen: Eine szenische Lesung über den „Täuferprozeß von Halberstadt“ im Gleimhaus, nach einem Text des Autors Jürgen Westphal, gesprochen von Schülern des Martineums (einst EOS „Bertolt Brecht“), spielt tatsächlich auch auf das Corona-Interregnum an. Das fiktive juristische Verfahren endet mit dem zeitlosen Fazit des Richters Meiger, der die alte Ordnung vertritt: „Angst und Zwietracht sind die besten Zügel, um ein Volk im Zaum zu halten.“ Daß die Aufklärung kaum vorankommt, wußte aber schon Brecht: „Kein Vormarsch ist so schwer wie derjenige zurück zur Vernunft.“