© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/23 / 11. August 2023

In Privatstädten libertäre Sozialutopien umsetzen
Brave New World in der Wüste
(dg)

Privatstädte“ sind für den freischaffenden linken Soziologen Andreas Kemper, der ihnen voriges Jahr eine Monographie gewidmet hat, „Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus“. Sie sind aber zugleich, wie der Hamburger Architekturkritiker Claas Gefroi ausführt (Konkret, 7/2023), Experimentierfelder für totalitäre Gesellschaftsentwürfe. Versuche, von privaten Geldgebern finanzierte und verwaltete autonome Gebiete einzurichten, rechtsfreie Räume für einen aller staatlichen Einhegung entledigten, vollständig entfesselten  Kapitalismus, seien seit der Jahrtausendwende von US-amerikanischen und europäischen libertären Ökonomen ausgegangen, waren bisher aber nur mäßig erfolgreich. So sei im serbisch-kroatischen Grenzgebiet das dort vom global agierenden Londoner Architekten Patrik Schumacher konzipierte marktradikale Projekt der digitalen Stadt „Liberland“ gescheitert. Neuen Rückhalt, so fürchtet Gefroi, dürften libertäre Stadtplaner  jedoch durch „The Line“ erhalten: einen 500 Milliarden Dollar teuren, 170 Kilometer langen, 500 Meter hohen und 200 Meter breiten Gebäuderiegel durch den Nordwesten Saudi-Arabiens (JF 30-31/23). Es sei mehr als nur ein Prestigeunternehmen des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der mit dieser gigantischen Sonderwirtschaftszone seinen Öl-Staat auf das nachfossile Zeitalter vorbereite. Denn Pläne für „The Line“ zeigen bereits, daß in der isolierten Wüstenstadt exerziert werden soll, wie Millionen von Menschen umfassend überwacht und in ihrem Verhalten gesteuert werden können. 


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