© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/23 / 11. August 2023

Rothemden vor dem Sprung
Thailand: Warum China und der Shinawatra-Clan von der thailändischen Regierungskrise profitieren könnten
Hinrich Rohbohm

Knatternde Motoren. Stimmengewirr. Dazu das leise Plätschern des Chao Phraya. Jenes Flußes, der sich mitten durch die thailändische Hauptstadt Bangkok schlängelt. Hier trifft die JF Chokchai, einen angehenden Juristen, der an der hier befindlichen Thammasat-Universität Jura studiert. Seinen wirklichen Namen möchte Chokchai nicht veröffentlicht sehen. Denn der 25jährige ist einer jener Aktivisten, die jetzt in Thailand Proteste gegen die „manipulierte Regierungsbildung“ organisieren wollen, wie er es nennt.

Es ist der 13. Juli. Der Tag, an dem die thailändische Nationalversammlung einen neuen Premierminister wählen will. Mit 35 Prozent der Stimmen hatte die Move Forward Party (MFP) die Wahl gewonnen. Gemeinsam mit anderen Oppositionsparteien verfügt sie nun über eine Mehrheit im 500 Abgeordnete zählenden Parlament. Eigentlich. Wäre da nicht der von der Militärregierung ins Leben gerufene 250köpfige Senat, bestehend aus loyalen Regierungsanhängern, der ebenfalls über den Regierungschef mit abstimmt. Was dazu führt, daß für die Wahl des neuen Premierministers nicht 251, sondern mindestens 376 Stimmen erforderlich sind. Und damit nicht genug für Pita Limjaroenrat, den MFP-Spitzenkandidaten.

Die Opposition sieht sich schon im Vorfeld der Abstimmung um die Wahl betrogen. Proteste sind geplant. Entsprechend groß sind die Sicherheitsvorkehrungen an diesem Tag in der Stadt; das Parlament wird von Polizei und Militär weiträumig abgesichert, Straßen gesperrt.

Chokchai hat sich einen Wassermelonen-Shake bestellt und blickt nachdenklich auf den Fluß. Es ist der Morgen vor der Abstimmung. „Es wird nicht reichen“, weiß er schon da. Immer wieder summt sein Handy. Die Vorbereitungen für die anstehenden Proteste laufen längst auf Hochtouren. Am Abend will er mit MFP-Anhängern am Demokratie-Monument zusammenkommen und auf den „undemokratischen Charakter“ der Wahl aufmerksam machen. Auch Straßenblockaden in Asok, einem Verkehrsknotenpunkt in der Stadt, soll es geben.

Linke Kräfte fordern Abschaffung der Monarchie

„Viele werden wir nicht sein, vielleicht ein paar tausend“, prophezeit er. Die MFP wählen, das sei eine Sache. Aber Protest auf der Straße? Seit der Herrschaft der Militärregierung würden sich viele damit schwertun. „Niemand möchte nach den harten Jahren der Pandemie jetzt noch mehr Probleme bekommen“, erklärt Chokchai die Zurückhaltung.

Chokchai besucht die direkt am Chao-Phraya-Fluß befindliche Thammasat-Universität, unweit des Königspalastes. Sie gilt als Kaderschmiede zukünftiger Politiker, es ist das politische Ausbildungszentrum von Bangkoks Elite. Und es ist die Wiege der MFP. Auch das macht es so brisant, daß der jüngste Wahlerfolg der eher als linksliberal geltenden Fortschrittspartei ausgerechnet hier ihren Ausgangspunkt genommen hat. Auch Chokchai gehört der MFP an, die sich aus einem wirtschaftsliberalen und einem linken Flügel zusammensetzt.

„Vor vier Jahren lagen wir noch bei 17 Prozent, jetzt haben wir unser Wahlergebnis verdoppeln können“, erzählt Chokchai nicht ohne Stolz. Obwohl er weiß, daß der Vergleich etwas hinkt. Denn bei der Parlamentswahl 2019 existierte die Move-Forward-Partei noch nicht. „Damals traten wir noch als Partei Neue Zukunft an. Aber viele von uns sind später zu Move Forward gewechselt und bestimmen jetzt ihren Kurs.“

Die Partei Neue Zukunft, die sogenannte Future Forward Party war 2020 vom thailändischen Verfassungsgericht verboten worden. Sie versuche, die Monarchie im Land zu untergraben, hatte es damals geheißen. „Weil unser Parteisymbol ein Dreieck war, hatten uns einige für Illuminaten gehalten“, schmunzelt der Jura-Student. „Was mich betrifft, so möchte ich die parlamentarische Monarchie in Thailand behalten, aber wir brauchen dringend politische und wirtschaftliche Reformen im Land“, betont er. Wenngleich er einräumt: „Move Forward besteht aus unterschiedlichen Flügeln. Wir haben liberale, wirtschaftsfreundliche Kräfte in unseren Reihen, aber auch Linke aus der Klimaaktivisten- und der LGBT-Szene.“

Bei letzterer Gruppe verzieht er spürbar das Gesicht, wirkt sogar verärgert. „Spinner, die unser ganzes Projekt gefährden“, schimpft er über den wachsenden Einfluß des linken Flügels seiner Partei. Eine Gruppierung, ebenfalls aus der Future Forward Party kommend, die sich in der Tradition linker europäischer Parteien wie die griechische Syriza, die italienische Fünf-Sterne-Bewegung oder die spanische Podemos sehen. „Sie sind untereinander sehr gut vernetzt, auch international, stehen aber letztlich für nichts anderes als Anarchie.“  

Sollten sie in seiner Partei die Oberhand gewinnen, würden sie die Macht über Thailands stärkste politische Kraft gewinnen. „Einige von denen wollen wirklich die Monarchie abschaffen und noch vieles mehr. Ich halte sie für gefährlich.“ Wenige hundert Meter entfernt befindet sich der Königspalast. Als hätte sie Chokchais Befürchtungen gehört, ist die Palastwache aufmarschiert. Weiße Helme, weiße Uniformen, noch Schutzmaske tragend. Symbol des Schutzes für den Erhalt der thailändischen Monarchie.

Chokchai verfolgt auch die Aktivitäten der europäischen Linksparteien im Internet, mit denen der linke Flügel seiner Partei sympathisiert. Und er ist skeptisch, wenn er sich die Klima- und LGBT-Bewegungen und ihre Aktivitäten in Europa ansieht. „Einen derartigen sittlichen und moralischen Verfall möchte ich für Thailand nicht“, sagt er. „In bezug auf die LGBT-Szene halte ich es mit dem Prinzip leben und leben lassen.“ Transmenschen würden in Thailand zwar geduldet, seien in der Gesellschaft jedoch nicht besonders angesehen. „In Thailand glaubt man, daß Menschen, die in ihrem früheren Leben stark gesündigt haben, zur Strafe in den Körper eines Transmenschen wiedergeboren werden.“ Das sei im buddhistischen Glauben stark verinnerlicht. Daher habe diese Gruppe im Land „keinen leichten Stand.“

Schwerer laste auf seiner Partei jedoch der latente Vorwurf, sie wolle die Monarchie abschaffen. Ein Vorwurf, der laut Chokchai jedoch ausschließlich auf den linken Flügel von Move Forward zutreffe. „So etwas schadet uns natürlich enorm und hat mit dazu geführt, daß nun innerhalb des Militärs starke Vorbehalte gegen Pita als neuen Premierminister bestehen.“

Die Angst vor einem blutigen Volksaufstand wächst

Die Befürchtungen Chokchais sollten sich wenige Stunden nach unserem Gespräch bestätigen. Keine Mehrheit für Pita, einen 42 Jahre alten Unternehmer, dessen Familie mehrheitlich den Reisöl-Hersteller Agrifood besitzt und der ebenfalls ein Absolvent der Thammasat-Universität ist. Inzwischen hat das Parlament beschlossen, Pita nicht für einen weiteren Wahlgang zuzulassen. Zudem urteilte das Verfassungsgericht, das Abgeordnetenmandat des MFP-Spitzenkandidaten aufgrund anhaltender Ermittlungen auszusetzen. Pita wird zur Last gelegt, zur Zeit seines Wahlkampfs Anteile an einem Medienunternehmen besessen zu haben, was nach dem thailändischen Wahlgesetz untersagt ist.

Ein Vorgang, der die Emotionen innerhalb der MFP zusätzlich anheizt. Inzwischen ist es mehrfach zu Demonstrationen von mehreren tausend Teilnehmern in Bangkok und anderen Städten Thailands gekommen. Gleichzeitig beginnt das Oppositionsbündnis zu bröckeln. Die Militärregierung, deren Partei bei der Wahl eine schwere Niederlage einstecken mußte, beginnt sich mit ihrem einstigen Kontrahenten, der Pheu Thai Party zu verständigen. Die gehörte eigentlich zum Oppostionsbündnis, scheint sich nun aber von der MFP abzusetzen.

Der Vorgang ist nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, weil Pheu Thai eine Nachfolge-Organisation der Thai-Rak-Thai-Partei des langjährigen Premierministers und Aushängeschildes der einstigen Rothemden-Bewegung Thaksin Shinawatra ist, der nun offenbar vor dem Sprung steht, aus dem Exil nach Thailand zurückzukehren.

Nicht auszuschließen ist, daß seine jüngste Tochter Paetongtarn Shinawatra mit dem Segen des Militärs zur Premierministerin gewählt werden könnte. Es wäre die Rückkehr des Shinawatra-Clans an die politische Macht in Thailand. Was die zweitgrößte Volkswirtschaft Südostasiens auch noch enger an China binden dürfte. Denn in der Vergangenheit war die Shinawatra-Familie, die selbst chinesischer Abstammung ist, des öfteren für ihre politische Nähe zur Volksrepublik in der thailändischen Bevölkerung kritisiert worden.

„Das würde im Land zu großen Spannungen führen“ , sagt gegenüber der JF ein Mönch, der aufgrund der jüngsten politischen Entwicklungen extra das Denkmal für den Volksaufstand von 1973 besucht, um hier „für den König, den Frieden und für das Volk zu beten“. Viele Thais würden gerade in diesen Tagen an den 14. Oktober 1973 denken. Ein Tag, der zum Sturz des damaligen Premierministers Thanom Kittikachorn geführt hatte. Und damit zum Ende einer 15 Jahre andauernden Militärdiktatur. Manch einer will inzwischen nicht ausschließen, daß sich aus dem Umgang mit Pita und einer Rückkehr Thaksins ebenfalls ein Volksaufstand entwickeln könnte.