Es scheint, als hätten die Deutschen, seit Jahren Europas fleißigste Goldanleger, die Lust auf das gelbe Metall verloren. So jedenfalls kommentierten es die Medien, als der World Gold Council (WGC) vorige Woche die Zahlen für das zweite Quartal 2023 vorlegte. Danach ging die deutsche Nachfrage nach Barren und Münzen im Vergleich zum Vorjahresquartal um 38 Tonnen zurück. Gekauft wurden nur noch 10,9 Tonnen. Diese Zurückhaltung sei der „negativste Faktor“, was die globale Goldnachfrage in diesem Jahr betreffe, meinte John Reade, Chefanalytiker des WGC.
Daraus zu schließen, daß die Deutschen den Goldpreis nennenswert beeinflussen, wäre dennoch falsch. Dafür tummeln sich auf diesem 24-Stunden-Markt mit den großen Handelsplätzen London, New York und Shanghai zu viele Spieler. Es ist bezeichnend, daß der Nachfragerückgang in Deutschland vollständig kompensiert wurde durch eine Zunahme der Käufe seitens der türkischen Privatanleger. Bei einer nur moderat veränderlichen Goldförderung (923 Tonnen im zweiten Quartal) muß notwendigerweise immer irgend jemand weniger nachfragen, wenn ein anderer mehr abnimmt.
Alles Gold, das auf den Markt kommt, findet auch seine Abnehmer. Insofern sagen Meldungen über einen generellen Nachfragerückgang nichts aus, weil einem solchen logischerweise ein Angebotsrückgang entsprechen muß. Noch im ersten Halbjahr 2022 kaufte niemand mehr Goldbarren und Münzen als Deutschland, gefolgt von China. Im ersten Halbjahr 2023 rückte China an die Spitze, gefolgt von der Türkei, den USA, Indien und Iran. Vielleicht waren die deutschen Investoren erst einmal saturiert. Oft übersehen wird auch, daß der Absatz von Barren und Münzen deutlich unter dem von Goldschmuck liegt und daß er einen überschaubaren Anteil an der Gesamtnachfrage bestreitet. Letztere betrug im zweiten Quartal 2023 laut WGC 1.255 Tonnen, wovon 475 Tonnen auf Schmuck und 277 auf physisches Anlagegold entfielen. Der Rest ging an Zentralbanken, in industrielle Anwendungen, an Fonds wie Xetra-Gold oder Euwax Gold II und in den außerbörslichen Handel.
Inflation, ein schwacher Dollar und Krisen, die Angst machten
Selbst die Goldstatistiken des WGC sind mit Vorsicht zu genießen. Auch die Londoner Experten können nicht genau wissen, wieviel Gold von illegalen Goldschürfern zum Beispiel in Brasilien und Südafrika schwarz auf den Markt gelangt, wieviel zum Beispiel von Dubai nach Indien geschmuggelt wird, wie groß die staatlichen Goldreserven Chinas wirklich sind oder welche Mengen von wem am Goldpapiermarkt hin und her geschoben werden.
Die indische Zentralbank hat einmal geschätzt, daß der Papiermarkt, auf dem nicht oder kaum gedeckte Ansprüche auf Gold gehandelt werden, 80mal größer ist als der physische Markt. Der Terminhandel an der amerikanischen Comex bildet dabei nur die Spitze des Eisbergs. Mysteriös ist auch die Rolle der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Die seit 1930 in Basel angesiedelte „Bank der Zentralbanken“, in der Deutschland selbst während des Zweiten Weltkrieges seinen Sitz behielt und ausübte, tätigt Monat für Monat Gold-Swaps, die meist mehr als hundert Tonnen ausmachen und sich im Herbst und Winter 2020/21 sogar auf mehr als 3.000 Tonnen akkumuliert hatten – eine Menge Gold verglichen mit einer globalen Nachfrage von 4.740 Tonnen 2022.
Bei den Swaps tauscht die BIZ bei einer Goldhandelsbank US-Dollar gegen das Metall und stellt dieses anschließend einer Zentralbank zur Verfügung. Diese könnte, wird vermutet, ihre neue Kaufposition dazu nutzen, den Goldpreis via Papiermarkt zu manipulieren und zu drücken. Denn an zu hohen Goldpreisen, immer Indiz schwindenden Vertrauens in die Papierwährungen, können die Notenbanken kein Interesse haben.
Wichtiger für den Goldanleger ist die Frage, was den Goldpreis – am 4. August 1.933 Dollar pro Unze – langfristig bewegt. Die Antwort liefert die Geschichte seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Positiv für Gold waren im Trend steigende Inflationsraten, darunterliegende Zinsen, Währungschaos, ein schwacher Dollar und Krisen, die Angst machten. Umgekehrt boten die extrem hohen Realzinsen Anfang der achtziger Jahre eine Investmentchance, mit der Gold nicht konkurrieren konnte.
Hinzu sollte immer ein Vergleich der verschiedenen Anlageklassen kommen. In den vergangenen 20 Jahren lagen Gold in Euro und der Dax gleichauf, in den vergangenen zehn Jahren lag der Aktienindex leicht vorne, in den vergangenen fünf Jahren schnitt Gold mit großem Abstand besser ab. Die zyklische Betrachtung läßt sich auch gut auf den US-Aktienindex S&P 500 anwenden. In der Zeit der Aktienbaisse von 1968 bis 1982 glänzte Gold, wenn auch mit Unterbrechungen, ebenso wie in den Jahren der Aktienbaisse von 2000 bis 2011. Anschließend lief der S&P 500 dem Goldpreis davon, erst seit 2022 herrscht ein Patt.
Die Arbeitshypothese könnte lauten, daß dieses Jahrzehnt ähnlich verlaufen wird wie die siebziger Jahre, daß die Geldentwertung nach einer temporären Abschwächung wieder Fahrt aufnimmt, daß die Zentralbanken vor klar positiven Realzinsen zurückschrecken und daß der Status des US-Dollars als jahrzehntelange Weltleitwährung in Frage gestellt wird.
Das Einfrieren russischer Devisenreserven war der erste Fehler, die jüngste Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA durch Fitch von AAA auf AA+ ein Warnzeichen. Bereits dreimal ist der Vormarsch der Goldpreise knapp oberhalb von 2.000 Dollar steckengeblieben. Anfang August prognostizierte JPMorgan Chase, die mächtigste amerikanische Bank, daß Gold den Preisdeckel, der drei Jahre lang standgehalten hat, bis Ende 2024 nach oben durchstoßen werde.
Dr. Bruno Bandulet war Chef vom Dienst der Welt und Herausgeber des Börsenbriefs Gold & Money Intelligence.