Zum dritten Mal schreibt Donald Trump US-Rechtsgeschichte. Am vorvergangenen Dienstag hat die Justiz eine erneute Anklage gegen den potentiellen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner erhoben, diesmal im Zusammenhang mit den Vorgängen, die zu den Unruhen im Kongreßgebäude (Kapitol) am 6. Januar 2021 (in den USA meist als „January 6th“ bezeichnet) führten. Wenige Stunden nach der Verhandlung kommentierte er das Vorgehen im gewohnten Stil auf Truth Social: „Warum brachten sie diesen absurden Fall nicht vor zweieinhalb Jahren? Sie wollten ihn mitten in meiner Kampagne, darum!“ Zuvor warf sein Kampagnenteam den Richtern Methoden vor, die an „autoritäre, diktatorische Regimes“ erinnern sollen.
„Man muß einfach die Statements von Trumps ehemaligem Berater für nationale Sicherheit John Bolton sowie des Ex-Generalstaatsanwalts Trumps hören, um zu wissen, wie ernst die Vorwürfe sind“, sagte hingegen der Sprecher der Senatsfraktion der Demokraten, Chuck Schumer. Die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses und Schumers Parteikollegin, Nancy Pelosi, fügte gegenüber CNN hinzu, es sei herzzerreißend, einen Ex-Präsidenten mit so vielen strafrechtlichen Vorwürfen zu haben. Ähnliche Töne kamen von Mike Pence, der unter Trump als Vizepräsident diente und nun zu seinen härtesten innerparteilichen Kontrahenten zählt: „Der heutige Tag dient als eine wichtige Erinnerung daran, daß niemand, der sich über die Verfassung stellt, US-Präsident werden darf.“
Trumps Ex-Weggefährte Mike Pence spielt eine Schlüsselrolle
Pence’ Aussagen und Notizen aus der Zeit von der Präsidentschaftswahl 2020 bis zum „January 6th“ spielen in der neuesten Anklage eine Schlüsselrolle. Das Dokument beinhaltet vier schwerwiegende Anschuldigungen, für die ein maximales Gesamtstrafmaß von 40 Jahren Haft droht. Den Kern aller Vorwürfe bildet, daß Trump und seine Mitverschwörer absichtlich gelogen haben sollen, um die eigene Wiederwahl zu erzwingen.
Dreimal wird dem Ex-Präsidenten dabei ein Komplott vorgeworfen: jeweils zum Zwecke des Verrats an den Vereinigten Staaten, zur Behinderung des offiziellen Verfahrens und gegen die Bürgerrechte. Der erste Punkt bezieht sich auf die Mutmaßung, Trump würde die Zusammensetzung sowie das Verhalten der zuständigen Wahlmännerversammlung mit illegalen Mitteln beeinflussen wollen; hinzu kommt die versuchte Erzwingung falscher Wahlbetrugsuntersuchungen in mehreren Bundesstaaten. Bei der Verfahrensbehinderung geht es um die Frage, ob der Republikaner plante, den Kongreß auch mit Gewalt von der Bestätigung der gültigen Wahlmännerstimmen abzuhalten; die Kapitol-Ausschreitungen selbst und die Vorgänge zuvor werden als separater Anklagepunkt erhoben. Beim letzten Vorwurf entscheidet, ob Trumps Bemühungen darauf hinausliefen, die Bürger durch Unterdrückung, Bedrohung und Einschüchterung von der Wahl abzuhalten. Zu der neuen Klage kommen zwei weitere: Die erste betrifft unter anderem die umstrittene Schweigegeldzahlung über eine Briefkastenfirma Trumps an die Pornodarstellerin Stormy Daniels, in der zweiten geht es um den rechtswidrigen Umgang mit geheimen Akten, die in seinem Anwesen in Mar-a-Lago gefunden wurden. Beide Prozesse werden ausgerechnet vor der Präsidentschaftswahl 2024 verhandelt.
„Wall Street Journal“ zweifelt am Sinn der Trump-Anklage
„Ich bin seit vielen Jahren mit großen Betrugsdelikten befaßt, seit über 40 Jahren bin ich als Anwalt tätig, und dies wird einer der größten Fälle in der Geschichte der Vereinigten Staaten sein“, erwähnte einer der Verteidiger Trumps, John Lauro, in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Radionetzwerk NPR. Trotzdem gibt er sich siegessicher und betonte, die Infragestellung der Wahlintegrität sei als freie Meinungsäußerung von der Verfassung geschützt: „Sie [die Richter] müssen schädliche Absichten gemäß dem Obstruktionsgesetz nachweisen. Und schädliche Absicht bedeutet, daß man nicht nur nicht an die Position glaubt, die man vertritt, sondern daß man dies zu einem schädlichen Zweck tut, um eine Regierungsfunktion zu behindern und nicht, um die Fakten zu erfahren.“
Die Anhänger des Ex-Präsidenten stellen zudem die Unbefangenheit der Justiz in Frage. David Rody, einer der Berater des für die Anklage verantwortlichen Sonderermittlers Jack Smith, spendete nachweislich 12.835 US-Dollar (cirka 11.696 Euro) seit 2018 an die regierenden Demokraten, davon eintausend Dollar an die Wahlkampagne von Dan Goldman. Dieser vertrat die Partei als Hauptanwalt während des Amtsenthebungsverfahrens gegen Trump im Jahr 2019.
Auch die Wahl des Bezirksgerichts, vor dem die Verhandlung stattfindet, gilt als umstritten. Es liegt in Washington, in einer der linkesten Regionen des Landes – was die Zusammensetzung der Grand Jury, die aus zufällig ausgewählten Bürgern besteht und über einen eventuellen Prozeß entscheidet, stark beeinflußt. Deshalb möchte Lauro eine Verlegung des Ortes ins politisch stärker gemischte West Virginia durchsetzen.
Einige Rechtsexperten bezweifeln, ob der Ex-Präsident wegen des Handelns während seiner Amtszeit angeklagt werden darf. Sie weisen auf die sogenannte „qualifizierte Immunität“ hin, die ein strafrechtliches Vorgehen gegen Bundesbeamte nur in Ausnahmefällen zuläßt. „In den Augen des Gesetzes gibt es nur sehr wenige Umstände, unter denen der Präsident außerhalb seiner offiziellen Funktion handelt“, schreiben die ehemaligen Bundesstaatsanwälte Katie und Andrew Cherkasky in einem Gastbeitrag für The Hill. Ein Vertreter der Exekutive, der an Unregelmäßigkeiten beim Wahlprozeß glaubt, sei dazu befugt, bei Bedarf zu intervenieren und Werturteile abzugeben. „Vielleicht ist die einzige Frage, die wir uns stellen sollten, ob diese Strafverfolgung überhaupt verfassungsrechtlich zulässig ist.“
Ähnliche Argumente bringt die Redaktion der auflagenstärksten Zeitung des Landes, des Wall Street Journal, und zweifelt den Sinn der Anklage an: „Sie macht jede künftige Wahlanfechtung, wie gültig sie auch sein mag, rechtlich angreifbar für einen parteiischen Staatsanwalt. Und sie hätte die Handlungen von Al Gore und George W. Bush zur Anfechtung des Wahlergebnisses in Florida im Jahr 2000 unter Strafe stellen können.“
Zwei Tatsachen sprechen für sich: Einmal das Schweigen Bidens, der stets auf das Justizministerium verweist. Dessen Sohn Hunter wird bald selbst wegen Steuerhinterziehung vor Gericht stehen. Zudem zeigen verschiedene Umfragen, mehr als die Hälfte der Amerikaner sei unzufrieden mit der aktuellen Exekutive.
Ebenfalls sticht ins Auge, wie einsam Pence mit seiner Haltung selbst unter Trumps prominenten Vorwahlkonkurrenten dasteht: Die als moderat geltende Nikki Haley beschränkt sich auf sarkastische Anmerkungen und Sachthemenverweise, Ron DeSantis verzichtet auf Angriffe gegen Trump und spricht bei Fox News über Reformbedarf in der Justiz, und Vivek Ramaswamy verspricht sogar eine Begnadigung des umstrittenen Präsidenten. Die Kongreßfraktion der Republikaner gibt ihm ebenfalls Rückendeckung. Am Samstag schreibt Trump in einem Post: „Greift ihr mich an, zahle ich’s euch heim!“