© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 33/23 / 11. August 2023

Grüße aus … Prag
Die Massen sind zurück
Claus-M. Wolfschlag

Während der Corona-Restriktionen teilte Prag das Schicksal vieler Tourismus-Metropolen. Die wenigen Besucher nahmen es zwar durchaus positiv auf, durch eine nicht von Menschenmassen erdrückte, „normale“ Stadt schlendern zu können. Doch die wirtschaftlichen Folgen für Gastronomie und Beherbergungsstätten waren eklatant. 

Verzeichnete Prag 2019, also in der „Vor-Corona-Zeit“, acht Millionen übernachtende Touristen, so brachte das Jahr 2020 einen massiven Einbruch, im zweiten Jahresquartal gar um 94 Prozent. Davon ist nun keine Rede mehr. Konsolidierte sich die Stadt 2022 mit sechs Millionen Besuchern, so verlautbarte das Tschechische Statistikamt nun, daß in diesem Jahr die Zahlen vor der Pandemie sogar übertroffen werden dürften. 

Vor allem vor der mittelalterlichen Uhr des Altstädter Rathauses, auf der Karlsbrücke und dem Burg-Plateau verdichten sich die Massen. Schulklassen werden zur stündlichen Wachablösung im Ehrenhof geschleust, Selfies werden geschossen. In der Stadt mit auffällig wenigen Afrikanern fallen vor der Karlsbrücke schwarze Promotiontrupps in Matrosenanzügen um so mehr auf, die Werbung für Rundfahrt-Angebote machen. 

Zum touristischen Rummel gesellt sich aktueller Zeitgeist wie „LGBT+-Festivals“ der „Prague Pride“. 

Am unangenehmsten erscheinen noch grölende, häufig deutsche Gruppen junger Männer mit Wegbier, die in Prag Junggesellenabschiede feiern. Zum touristischen Rummel gesellt sich aktueller Zeitgeist. Nicht nur, daß anläßlich des jährlichen „LGBT+-Festivals“, der „Prague Pride“, auch die Regenbogenfahne vom Neuen Rathaus flattert. Vielmehr wehen die ukrainischen Farben in der Innenstadt unübersehbar neben der tschechischen Nationalflagge von zahlreichen öffentlichen Gebäuden, beispielsweise vom bekannten Nationalmuseum am Wenzelsplatz. 

Wer Menschenmassen und Politik entgehen will, muß deshalb in Bereiche außerhalb der touristischen Zone ausweichen. Zum Beispiel in die Kunsthalle, in der gerade eine Ausstellung über die Künstlerbohème nach 1950 gezeigt wird. Oder in Stadtquartiere wie das gründerzeitlich geprägte ehemalige Weinbauareal Žižkov, das nach dem letztlich nie umgesetzten Willen der Kommunisten eigentlich abgerissen und durch Plattenbauten ersetzt werden sollte. 

Heute laden dort im Schatten des 1985 bis 1992 erbauten futuristischen Fernsehturms urige Gaststätten wie „Pivnice U Sadu“ oder „U Slovanské Lípy“ zur Einkehr ein. Oder man fährt mit der U-Bahn in ein gar nicht mehr von Touristen besuchtes Stadtquartier wie Holešovice hinaus, besucht dort das mit den Steampunk-Metallarbeiten des Künstlers František Chmelík geschmückte alternative Kulturzentrum „Cross Club“ oder das Büchercafé „Ouky Douky“, in dem die Zeit des Prager Frühlings, Dubčeks und Kunderas stehengeblieben scheint.