Deutliche Worte fand Taoreed Lagbaja vergangenen Sonnabend bei der zeremoniellen Vereidigung seiner neuen Rekruten im nigerianischen Bundesstaat Kaduna. „Unsere Demokratie ist ein geschätzter Wert, und die nigerianische Armee ist bereit, sie zu verteidigen und zu stärken und nicht dazu beizutragen, sie zu untergraben, geschweige denn zu beschneiden“, verkündete der Oberbefehlshaber der Streitkräfte Nigerias. „Ich fordere daher alle Angehörigen der nigerianischen Armee auf, stolze Verfechter unserer blühenden Demokratie zu sein und bei der Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Pflichten unpolitisch zu bleiben.“ Seit Mitte Juni erst frisch im Amt, steht Lagbaja seit gut zwei Wochen vor seiner ersten ernsthaften Bewährungsprobe – dem Militäreinsatz seiner Truppen im benachbarten Niger; eine politisch fragwürdige Entscheidung des nigerianischen Präsidenten Bola Tinubu, die insbesondere innerhalb Nigerias heftig debattiert wird. Für Lagbaja steht fest, daß das Militär kompromißlos hinter dem Befehl seines Staatsoberhaupts stehen wird.
Vergangene Woche Montag hatte die „Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft“ (ECOWAS), seit Juni unter dem Vorsitz Tinubus fungierend, ihrem Mitgliedsstaat Niger eine siebentägige Frist zur Wiedereinsetzung des weggeputschten Präsidenten Mohamed Bazoum gesetzt. Selbiger war am 26. Juli von der eigenen Präsidentengarde festgenommen worden; letztere hatte im Anschluß gemeinsam mit dem „Nationalen Rat für den Schutz des Vaterlandes“ (CNSP) eine Militärjunta unter dem nigrischen General Abdourahamane Tchiani ausgerufen.
Trotz heftiger Kritik will Paris seine Niger-Politik nicht ändern
Der ECOWAS droht nun ein offener Bruch ihrer ohnehin fragilen Gemeinschaft: Bereits mehrfach war die Gruppe an der Einführung einer gemeinsamen Währung, des sogenannten „Eco“, eklatant gescheitert. Die innenpolitische Lage vieler ihrer Mitgliedsstaaten ist geprägt von andauernden Gefechten mit Separatisten- und Islamistenmilizen. Seit 2021 mußte die Mitgliedschaft von gleich drei Staaten – Guinea, Mali und Burkina Faso – ausgesetzt werden. In allen drei Nationen hatte sich das Militär an die Macht geputscht. Seit Ende Juli ist der Niger der vierte Staat in dieser Reihe, mit dessen Regime die ECOWAS offen bricht. Die verbliebenen Staaten, allen voran Nigeria, fürchten eine Kettenreaktion, als deren Ursache von den beteiligten Parteien auch der Umgang der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich mit den Staaten Westafrikas benannt wird.
Zumindest die Demonstranten in Nigers Hauptstadt Niamey lassen an dieser Begründung keinen Zweifel. Über 30.000 Nigrer waren am Sonntag in das Stadion der Hauptstadt geströmt, um der CNSP-Junta ihre Unterstützung zu verkünden. „Wenn die französische Armee sagt, sie verläßt unser Land nicht, werden wir, die Bürger Nigers, sie dazu bringen zu gehen“, erklärte ein sichtlich aufgebrachter Demonstrant dem TV-Sender Africanews. Ein weiterer fragte, wo genau die ECOWAS-Truppen gewesen seien, als Niger sie gebraucht hätte. „Sie kamen nie, um uns zu unterstützen.“
Während der Ansprache Mohamed Toumbas, einem der führenden Generäle der CNSP, waren im Stadion neben nigrischen auch russische Flaggen zu sehen, die die M62-Bewegung vorab an Demonstranten verteilt haben soll. Letztere konstituierte sich im Sommer vergangenen Jahres als Reaktion auf die Operation Barkhane, der seit 2014 anhaltenden französischen Militäroperation in der Sahelzone gegen Islamistengruppen. Die Bewegung opponiert eigenen Erklärungen zufolge gegen eine weitere Stationierung französischer Truppen im Niger. Der französischen Armee wirft die M62-Bewegung die „vielfache Ermordung von Zivilisten“ sowie eine „illegale Anwesenheit auf unserem Territorium“ vor. Für Frankreich ist der Niger mit gut 15 Prozent Importanteil einer der wichtigsten Herkunftsländer für spaltbares Uran. Einer der ersten Erlasse der neuen CNSP-Junta bestand in einem generellen Exportverbot für Uran und Gold nach Frankreich.
„Seit der Intervention von Präsident Sarkozy in Libyen, gefolgt von der Operation Barkhane, bis hin zu Emmanuel Macrons ‘Reue-Reise’ haben die französischen Behörden die Beziehungen zu Afrika untergraben“, weiß die französische EU-Abgeordnete Patricia Chagnon die nigrischen Vorwürfe durchaus zu verstehen. Im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT mahnt die Rassemblement-National-Politikerin, basierend auf den Werten von „Freundschaft, Respekt und Entgegenkommen“, zur Rückkehr einer Politik auf Augenhöhe zwischen europäischen und afrikanischen Nationen. „Es ist dringend erforderlich, die Politik Frankreichs gegenüber Afrika zu überprüfen“, so Chagnon.
Dieser Richtungswechsel in Frankreichs außenpolitischer Doktrin dürfte allerdings noch länger auf sich warten lassen. Gegenteilig signalisiert die französische Regierung derzeit deutlich, einer militärischen Intervention im westafrikanischen Sahelstaat nicht abgeneigt zu sein. „Frankreich unterstützt mit Entschlossenheit die Bemühungen der ECOWAS, diesen Putschversuch abzuwehren“, verkündete die französische Außenministerin Catherine Colonna nach einem Treffen mit Nigers geschaßtem Premierminister Ouhoumoudou Mahamadou in Paris.
Nicht nur gegen eine Militärintervention, sondern überdies auch gegen die neue nigrische Militärjunta sprach sich überraschend Rußland aus: „Die Situation so schnell wie möglich wieder in den verfassungsmäßigen Rahmen zu bringen, ohne Schaden anzurichten und Menschenleben in Gefahr zu bringen“, forderte Dmitri Peskow, Pressesprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, vergangenen Freitag. Auch die Vereinigten Staaten würden sich „weiterhin für die Wiederherstellung der demokratisch gewählten Regierung Nigers einsetzen“, so US-Außenminister Antony Blinken. Die USA beschränken sich derzeit auf die Aussetzung von Entwicklungshilfeprogrammen.
In einem vergangene Woche in der Washington Post erschienenen Meinungsartikel hatte sich der inhaftierte nigrische Präsident an die US-Regierung mit der Bitte um „Wiederherstellung unserer verfassungsmäßigen Ordnung“ gewandt. „Obgleich dieser Putschversuch eine Tragödie für die Bevölkerung Nigerias ist, hätte sein Erfolg verheerende Folgen weit über unsere Grenzen hinaus“, warnte Bazoum und verwies explizit auf eine drohende russische Einflußnahme in der Sahelregion mittels der paramilitärischen Gruppe Wagner, die bereits jetzt in Nigers Nachbarstaaten für dortige Militärjuntas tätig sein würde.
Nigeria will keinen Krieg im nördlichen Nachbarland Niger
Tatsächlich agieren Wagner-Söldner bereits seit geraumer Zeit sowohl im Mali als auch in Burkina Faso – und weiten Moskaus diplomatischen Spielraum in der Region mit ihren Geschäftsbeziehungen enorm aus. Die Gefahr eines Domino-Effekts an Militärputschen über den Sahel hinaus auf weitere ECOWAS-Staaten dürfte nicht nur nach Ansicht des nigerianischen Präsidenten Tinubu durchaus gegeben sein. Ein drohender Krieg in Westafrika scheint jedoch vorerst abgewendet: In einer am vergangenen Wochenende verabschiedeten Erklärung wies der Senat Nigerias die Bitte Tinubus, Truppen ins benachbarte Niger zu entsenden, strikt zurück und warb „angesichts der bestehenden herzlichen Beziehung zwischen Nigrern und Nigerianern“ stattdessen für „politische und diplomatische Alternativen“ zur Lösung des Konflikts. Im Falle eines Krieges müsse Nigeria die Hauptstreitmacht der ECOWAS-Eingreiftruppe stellen. Mali, Guinea und Burkina Faso hatten vorab bereits erklärt, sich militärisch auf seiten der Niger-Junta zu engagieren.