Die Bürger von Arnsberg-Oeventrop haben es ihrer nordrhein-westfälischen Landesregierung gezeigt. Sie haben die Pläne vereitelt, eine Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) für Flüchtlinge in ihrem Ort einzurichten. Der Eigentümer der in Betracht gekommenen Immobilie zog sein Angebot gegenüber der Stadt in letzter Sekunde zurück. Ein einmaliger Fall, der bundesweit Schlagzeilen macht. Zumal im Westen der Republik. Doch nach der Erleichterung geht jetzt die Angst um. Denn viele Oeventroper fühlen sich mißverstanden. Sie seien weder Nazis noch Ossis. Der Hochsauerlandkreis würde mit dem hinterwäldlerischen Osten in einen Topf geworfen werden, sagen Bürger in Oeventrop gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Für das erzkatholische Stammland von Friedrich Merz ist das gar nicht so einfach zu verdauen. Und dabei bleibt eine Frage offen. Wo sollen nun die Flüchtlinge hin?
Groß. Mächtig. Rot. Schon von weitem ist der riesige Klinkerbau auf dem grünen Hügel zu erkennen. Das Kloster Oeventrop, geweiht 1902, war eine Gründung der Missionare vom Heiligen Herzen Jesu. Hier wurden Theologen ausgebildet, Joseph Ratzinger unterrichtete in den mächtigen Mauern. Später war es eine Lungenklinik für Soldaten, dann ein Heim für schwer erziehbare Kinder, anschließend eine Suchtklinik. Seit 2009 steht das Gebäude leer. 2016 sollte es schon einmal Flüchtlingsunterkunft werden, doch die Stadt verwarf den Plan. 2017 brannte das Dachgeschoß des ehemaligen Klosters großflächig. Die Behörden vermuten Brandstiftung. Und genau in diesem Gebäude sollten nach der Sanierung 450 Flüchtlinge untergebracht werden. Die Pläne der Landesregierung im 100 Kilometer entfernten Düsseldorf wurden erst im Juli bekannt.
„Daß ein Flüchtlingsheim nach Arnsberg kommen sollte, wurde Ende des Jahres schon gemunkelt“, sagt Werner Zörner, AfD-Kreistagsabgeordneter im Hochsauerlandkreis, gegenüber der jungen freiheit. Lange war der Ort von der großen Flüchtlingswelle verschont geblieben. „Die Diskussion nahm Formen an, als im Frühjahr rauskam, daß das Dorint als Unterkunft im Gespräch war.“ Noch am 2. Juni berichtete der Sauerlandkurier, daß die Bezirksregierung Arnsberg auf Kurier-Nachfrage bestätigt habe, daß man derzeit im gesamten Regierungsbezirk auf der Suche nach einer neuen Unterbringungseinheit für Migranten sei. Das Dorint-Hotel in Arnsberg-Neheim sei dabei eine von mehreren Optionen, „aber es ist noch keine Entscheidung gefallen“, stellte Pressesprecher Christoph Söbbeler klar. Das Hotel befindet sich im Arnsberger Stadtteil Neheim. Hoch oben auf dem Berg und mitten im Wald liegt das Vier-Sterne-Sportresort. Als „etwas in die Jahre gekommen“ bezeichnen einige Hotelgäste im Internet die Unterkunft. Der Kaffee schmeckt frisch und überaus köstlich, die Angestellten sind herzlich und zuvorkommend.
Eine starke Gemeinschaft: „Im Grunde leben wir hier autark“
Hier spürt man nichts von dem Druck, der auf Nordrhein-Westfalen liegt. Die Bezirksregierung Arnsberg, die vom Land die Aufgabe hat, zentral die Zuweisung der Flüchtlinge auf die 396 Kommunen des Bundeslandes zu organisieren, meldet: „Rund ein Fünftel aller Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, muß das Bundesland Nordrhein-Westfalen aufnehmen.“ Die Aufnahme wird nach dem „Königsteiner Schlüssel“ berechnet, der die Bevölkerungszahl und die Steuereinnahmen eines Landes berücksichtigt. Zum Vergleich: Auf Platz zwei folgt Bayern mit 15,3 Prozent und auf Platz drei Baden-Württemberg mit 12,9 Prozent. Das Land NRW verfügt über 30.600 Plätze für Flüchtlinge, 6.590 davon in Erstaufnahmeeinrichtungen und 24.010 Plätze in einer der 28 Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) und einer Notunterkunft, meldet die dpa. Die Einrichtungen seien zu 88 Prozent ausgelastet. In den Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) werden sie registriert, geimpft und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) registriert. Dieses Verfahren dauert in der Regel eine Woche. Danach werden die Menschen auf die ZUE verteilt. Hier bleiben sie in der Regel so lange, bis über ihr Asylverfahren entschieden wurde. Theoretisch sollen es drei Monate sein. Wenn ihrem Antrag stattgegeben wurde, folgt die Verteilung auf die Kommunen, sonst bleiben sie in einer der ZUE. Auch in das fünf Kilometer außerhalb der Bezirksstadt gelegene Arnsberg-Oeventrop wurden Flüchtlinge verteilt. „Die 70 Menschen sind hier gut integriert“, sagt der Kreistagsabgeordnete Zörner, „die Caritas und der Flüchtlingsverein kümmern sich rührend um sie. Es gab niemals Probleme mit ihnen.“ Doch zwischen 70 oder 450 Flüchtlingen besteht ein riesiger Unterschied. Zumal das Dorf gerade knapp 7.000 Einwohner hat. Statt jedem hundertsten wäre dann jeder zwanzigste ein Migrant.
Oeventrop ist auffallend sauber. Da liegt kein Fitzelchen Papier auf dem Bürgersteig. Keine Graffiti-Schmierereien sind auf Häuserwänden zu sehen. „Wir haben hier eine starke Dorfgemeinschaft mit einem regen Vereinsleben. Eigenständiges Gewerbegebiet – im Grund leben wir hier autark“, sagt Zörner. Dazu die Natur, die Berge, der Möhnestausee – Idylle pur. Das mittelalterliche Arnsberg zieht dazu noch Touristen an. Niederländer verbringen hier gern den Urlaub.
Die Stadt Arnsberg wirbt damit, „Vielfalt in der Einheit“ zu bieten. 15 Ortsteile bilden die „Stadt“ Arnsberg mit ihren 76.000 Einwohnern. 1.009 sind Asylbewerber. Das sind schon 114 mehr als die Stadt laut dem NRW-Verteilungsschlüssel aufnehmen müßte. Der Hauptortsteil Arnsberg selbst hat nur knapp über 18.000 Bewohner. Die Bezirksregierung entschied sich gegen das Dorint und für das ehemalige Kloster. Und hier kommt der Unternehmer Christoph Kraas in Spiel. Seit Generationen wohnt hier seine Familie. Kraas hat eine Firma im Ort und engagiert sich in der Lokalpolitik. Er ist Beisitzer im Vorstand der CDU Oeventrop. Eigentlich hatte Kraas ganz andere Pläne mit dem Kloster. Hier sollte eine Seniorenresidenz entstehen, mit Arztpraxen, dazu noch 20 Bauplätze. So hätte sich das riesige Gebäude auch in die beiden links und rechts von ihm liegenden Wohngebiete Klosterberg und Egge-Siedlung wunderbar eingebettet.
Als im Dorf immer klarer wurde, daß Flüchtlinge im alten Kloster untergebracht werden sollten, gab es Diskussionsbedarf. „Wie kann das Land Nordrhein-Westfalen eine solche Einrichtung mitten zwischen zwei nah angrenzende vorhandene Siedlungsgebiete planen“, fragte Christoph Schmidt, Ratsmitglied der CDU-Fraktion für Oeventrop im Rat der Stadt Arnsberg am 25. Juli öffentlich. „Siedlungsgebiete mit ausschließlich privaten Wohngebäuden, deren Bewohner sich ihr Eigentum selbst geschaffen, aufgebaut und erarbeitet haben, werden nun mit so einer aufgezwungenen Situation konfrontiert. Das kommt für mich schon einer annähernden Enteignung gleich, die keiner der Anwohner akzeptieren kann.“ Wie hitzig die Stimmung im Dorf war, läßt sich an einem Halbsatz in einer Erklärung erkennen, die von den ordentlichen Mitgliedern des Bezirksausschusses Oeventrop und des Ortsheimatpflegers Willi Linn veröffentlicht wurde: „(…) es ist uns auch wichtig zu betonen, daß Bedrohungen an den Investor nicht hinnehmbar sind.“
Am Montag, dem 31. Juli, dann der große Knall. Eine Bürgerversammlung in der Sporthalle. 750 Plätze drinnen, 150 Bürger mußten draußen stehen, eingeladen hatte die Bezirksregierung. Allerdings, so heißt es im Dorf, hatte Klostereigentümer Kraas die Versammlung von der Bezirksregierung verlangt. Und hier stellte der Eigentümer des Klosters auch erst einmal fest, daß es die Bezirksregierung war, die im Mai auf ihn zugekommen sei, mit der Frage, ob das Kloster für eine ZUE zu haben sei. Und ganz offen schilderte Kraas in dieser Versammlung vor 750 Nachbarn und Bürgern seine heikle Situation. So berichtet die Oeventroper Werbegemeinschaft e.V. auf ihrer Internetseite von der Versammlung: „Kraas erklärte, daß sich der Ausbau der ruinierten Immobilie immer mehr in die Länge zöge, daß die Baupreise enorm angestiegen seien, daß er immer wieder auf Genehmigungen warten müsse. Außerdem habe man die Vermarktung der Baugrundstücke erst einmal behördenmäßig auf Eis gelegt.“ Wenn man in einer solchen Lage ist, kommentiert der Verein, dann komme man „ins Grübeln“.
Wie es sich genau zugetragen hat, darüber kursieren im Dorf Gerüchte und Mutmaßungen. Haben Behörden den Immobilieneigentümer unter Druck gesetzt? Oder seien Kraas enorme Mieteinnahmen versprochen worden? „800 Euro pro Kopf im Monat, soll ihm angeboten worden sein“, sagt ein Einwohner. „Rechnen Sie das mal aus. Das sind 400.000 Euro im Monat.“ Und das auf fünf Jahre, so lange wollte die Bezirksregierung das ehemalige Kloster anmieten, heißt es in der Erklärung der Mitglieder des Bezirksausschusses Oeventrop und des Ortsheimatpflegers Willi Linn. Das wären stattliche 24 Millionen Euro.
Die Antwort des Regierungs-vertreters ändert alles
Von den Mieteinnahmen wollte Kraas einen „beträchtlichen“ Teil dem Ort zukommen lassen. Doch davon wollten die Oeventroper nichts wissen. Denn was sollte eine schicke Turnhalle auch bringen, wenn Soester Verhältnisse plötzlich im kleinen Oeventrop herrschen? In Soest befindet sich eine ZUE mit rund 1.800 Migranten, dazu 400 Ukrainer. In einem Brandbrief, den der Bürgermeister der Kleinstadt an Josefine Paul (Grüne), Ministerin für Flucht und Integration im April schrieb, berichtet er von „deutlich steigender Kriminalität“, an der „nicht unmaßgeblich Flüchtlinge beteiligt seien“, so der WDR damals. Bis Ende des Jahres will das Land die Anzahl der Flüchtlinge reduzieren und sie auf andere Orte verteilen.
Es war dann eine Antwort des Vertreters aus Arnsberg auf eine Bürgerfrage bei der Versammlung, die Kraas’ Faß zum Überlaufen brachte. Warum das Dorint keinen Zuschlag bekommen habe, beantwortet ein Regierungsvertreter laut der Oeventroper Werbegemeinschaft damit, daß das Hotel wegen des dortigen Wohnumfeldes nicht in Frage käme. Der Regierungsvertreter soll lautstark ausgebuht worden sein. Außer einem zweiten Hotel, einem Tennisverein und einem Minigolf-Platz ist dort nämlich nichts im näheren Umfeld. Kraas fragte, was denn passiere, sollte er sein Angebot zurückziehen? Die Antwort: Dann würde man weiter in Arnsberg eine passende Immobilie suchen. Kraas’ Reaktion: „Ich ziehe hiermit mein Angebot zurück!“ Tosender Beifall brandet auf. Genau daran werden sich später Journalisten stoßen.
Dann setzt das Nachspiel ein. Die Presse berichtet, die Nachbarn reden. Katerstimmung scheint bei den Dörflern hochzukommen. Sie seien doch keine Neonazis, wie die Presse schreibt, sagt ein CDU-Mitglied einige Tage nach der Versammlung. Und mit der AfD und der Weidel hätten sie gar nichts zu tun. Die Parteivorsitzende der Alternative für Deutschland hatte zu Oeventrop getwittert: „Bürgerprotest funktioniert – es lohnt sich, die eigene Stimme zu erheben! Danke an alle Versammlungsteilnehmer und den einsichtigen Unternehmer“. Und Weidel kippt noch weiter Salz auf die Wunde der Christdemokraten: Ausgerechnet in der Heimat des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz hätten Bürger die „verhängnisvolle Asylpolitik von CDU-Landesregierung und Ampel“ beendet. Merz hält sich seitdem auffallend zurück. Eine Anfrage dieser Zeitung mit einer Bitte um Stellungnahme wollte er „momentan“ nicht beantworten.
Offen will sich nun niemand mehr über die Absage des Investors freuen. Bedenken und Sorgen gegen den Standort seien verständlich, heißt es in der oben schon zitierten Erklärung der ordentlichen Mitglieder des Bezirksausschusses. Und die hätten nichts mit einer rechten Gesinnung oder einer Sympathie für die AfD zu tun. Überhaupt sei man in Oeventrop hilfsbereit und offen für jedermann. Und die Flüchtlinge, die man seit 2015 aufgenommen habe, seien „gute und freundliche Nachbarn und Mitbürger, arbeiten und zahlen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge“. Das Erfolgsmodell wolle man im Rahmen der Möglichkeiten fortsetzen. Den Rahmen wollen die Oeventroper allerdings selber stecken.
Ist damit alles gut? Ist Oeventrop ein Beispiel, wie Flüchtlingsheime, über den Kopf der Einwohner, verhindert werden können? Im Grunde ist das Dorf ein Sonderfall, eben weil der Eigentümer der Immobilie ein Privatmann ist. „Ich glaube“, sagt Werner Zörner, „die ganze Geschichte ist noch nicht ausgestanden. Denn die Flüchtlinge kommen weiter ins Land, und sie müssen untergebracht werden.“ Neu ist allerdings die Empörung der Bürger auch im alten Westdeutschland, und da ist Oeventrop eben kein Sonderfall. In Baden-Württemberg liegt das Dorf Killer auf der Schwäbischen Alb. 15 Migranten leben dort. Ab September sollen 35 weitere Menschen untergebracht werden, berichtet der Focus. Das Magazin zitiert Landrat Günther-Martin Pauli (CDU), der auf einer Bürgerversammlung in Killer zum Thema Flüchtlingsunterbringung sprach und schilderte, daß die Stimmung im Saal am Überkochen war. „Die Atmosphäre war vergiftet.“ Er selbst sei ausgebuht worden, kaum zu Wort gekommen. Migranten kommen derweil weitere in Deutschland an.
Foto: Werner Zörner, Kreistagsabgeordneter der AfD im Hochsauerlandkreis, zeigt auf das alte Klostergebäude in Arnsberg-Oeventrop: Das Land Nordrhein-Westfalen sucht verzweifelt Unterbringungsmöglichkeiten für Einwanderer. Der Regierungsbezirk Arnsberg ist für die Verteilung im ganzen Bundesland zuständig