Drei Jahre und neun Monate Haft. Für eine Brandstiftung mag dieses am Montag gefällte Urteil des Landgerichts Koblenz hart wirken. Im Februar hatte der 39jährige Angeklagte mehrere Holzbänke in der katholischen Kirche Kreuzerhöhung im westerwäldischen Wissen angezündet. Zwei Orgeln und ein antiker Hochaltar aus dem 18. Jahrhundert fielen den Flammen zum Opfer, der Schaden wird auf etwa zwei Millionen Euro geschätzt. Als der 85jährige Küster vor Gericht schilderte, wie hart das Ereignis ihn und seine Gemeinde getroffen habe, war er den Tränen nahe. Der Mittelpunkt ihres Lebens sei zerstört worden, zitiert ihn der Altenkirchener Kurier.
Der Täter bestreitet die Brandstiftung nicht, gibt allerdings an, sich nicht an sie erinnern zu können. Gelogen ist das vermutlich nicht – nach einem forensischen Gutachten betrug seine Blutalkoholkonzentration in der Tatnacht 2,25 Promille. Während der Haftzeit soll er einen Entzug machen. Kurz nach der Tat ging im Februar die Angst im Ort um. „Die Bürger trauen sich hier in Wissen zum Teil abends nicht mehr auf die Rathausstraße“, zitierte der Südwestrundfunk den Bürgermeister Berno Neuhoff (CDU). Etwa ein Jahr zuvor hatten Unbekannte in der Paul-Gerhardt-Kirche in Berlin Feuer gelegt und den Innenraum sowie die Orgel schwer beschädigt.
Kämen nun endgültig französische Zustände in Deutschland an? Würden Unruhen in den Vorstädten folgen? Brennende Autos und ermordete Priester? Im Schnitt gibt es in unserem Nachbarland pro Tag zwei Angriffe auf christliche Einrichtungen, sagte der Präsident des „Observatoire du patrimoine religieux“ (Oberservatorium für religiöses Erbe), Edouard de Lamaze. Seit 2008 haben sich die Angriffe verfünffacht. Zuletzt traf es die protestantische Gemeinde Philadelphie in Marseille, wo der Pastor und die Gemeinde am Morgen des 28. Juni ein verwüstetes Gotteshaus vorfanden. Die Fensterscheiben waren zerbrochen, das Mobiliar umgeworfen. „Jesus ist nicht Gott“, war an eine der Wände gesprüht, „Mohammed ist der letzte Prophet“ an eine weitere. Erst im Januar hatten Angriffe auf drei Pariser Kirchen innerhalb einer Woche für Schlagzeilen gesorgt. An der Saint Martin du Champs hatten Polizisten gerade noch verhindern können, daß ein am Eingang entfachtes Feuer auf das gesamte Gebäude übergriff.
Wie aber sieht es in Deutschland aus? Wie viele Angriffe gab es hierzulande in den vergangenen Jahren auf Kirchen? Nehmen die Attacken möglicherweise zu? Und welche Motive haben die Angreifer? Auf einige dieser Fragen haben die offiziellen Statistiken eine Antwort, auf andere nicht. Zunächst fällt auf, daß es ein deutliches Ost-West-Gefälle gibt. Seit 2020 zählten die Behörden in Brandenburg keine einzige Brandstiftung, Sachsen zählte seit 2019 vier Stück. Thüringen, wo die Statistik bis 2015 zurückreicht, erfaßte sieben Brandstiftungen. Im Vergleich weist die Statistik von Rheinland-Pfalz 31 Brandstiftungen seit 2018 auf. Baden-Württemberg zählte seit 2015 44 Fälle von Brandlegung, und ausgerechnet das erzkatholische Bayern belegt mit 53 Brandstiftungen seit dem Jahr 2015 den ersten Platz.
Wobei dieser Status auch damit zusammenhängen mag, daß der Freistaat die zweithöchste Anzahl an Kirchen beherbergt – und ein potentieller Brandstifter somit eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, auf ein Kirchengebäude zu stoßen. Allgemein ist nicht in allen Fällen klar, wie sich die Statistiken sinnvoll vergleichen lassen. Während manche Bundesländer ganz konkret Angriffe auf Kirchen festhalten, existieren in anderen nur Statistiken zum „Tatort religiöse Einrichtung oder Friedhof“. Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein zählen etwa auf diese Weise. Somit würden auch Brandstiftungen auf Moscheen, Synagogen oder Hindu-Tempel in die Statistik einfließen. Noch allgemeiner wird es im Saarland, wo auch angrenzende Straßen, Wege und Plätze mitgezählt werden. Auch ein durch Jugendliche in Brand gesetzter Mülleimer, der sich in der Nähe einer Kirche befindet, würde folglich in die Statistik eingehen.
Bei Sachbeschädigungen ist der Unterschied zwischen Ost und West ebenfalls deutlich. Am höchsten liegt Thüringen mit 293 Sachbeschädigungen. Dort beginnt die Statistik allerdings bereits 2015, während Brandenburg und Sachsen erst ab 2020 beziehungsweise 2019 den „Tatort Kirche“ gesondert erfassen.
In Baden-Württemberg gab es im Schnitt zwei Angriffe pro Tag
Brandenburg zählt 92 Sachbeschädigungen, Sachsen lediglich 14. Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt haben bis zum Redaktionsschluß keine Statistiken an die JUNGE FREIHEIT geschickt. Während die beruhigend niedrigen Zahlen in den neuen Bundesländern zweifellos auch mit der geringen Bevölkerungszahl zusammenhängen werden, sind die Zahlen in Niedersachsen, dem viertbevölkerungsreichsten Bundesland verblüffend. Seit 2019 ereigneten sich dort lediglich 19 Sachbeschädigungen und eine einzige Brandstiftung. Unter 1.000 Sachbeschädigungen bleiben sonst nur das ebenfalls vergleichsweise dünn besiedelte Schleswig-Holstein, das kleine Saarland und die Stadtstaaten Bremen und Berlin. Rheinland-Pfalz zählte seit 2018 mehr als 1.000 Sachbeschädigungen, etwa 1.600 wurden seit 2019 in Nordrhein-Westfalen registriert. Bayern erfaßte seit 2015 etwa 1.900 Fälle und Baden-Württemberg beinahe 5.000.
Ausgerechnet in den beiden wirtschaftsstarken Ländern im Süden lassen sich demnach am ehesten französisch anmutende Verhältnisse erkennen. Seit 2015 wurde in Bayern im Schnitt jeden zweiten Tag eine Sachbeschädigung an einer Kirche verübt. In Baden-Württemberg waren es im Schnitt zwei Angriffe pro Tag. Mögliche Motive der Täter werden in beiden Bundesländern allerdings nicht statistisch erfaßt. Wie auch in den meisten anderen nicht. Das Saarland konnte jeweils eine Straftat dem Links- und eine andere dem Rechtsextremismus zuordnen. In Berlin fielen seit 2015 zwei Taten ins Feld „religiöse Ideologie“, vier in „ausländische Ideologie“ und zehn Taten wurden von Linksextremen begangen.