© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/23 / 04. August 2023

Der Flaneur
Alles leer gekauft
Paul Leonhard

Samstag nachmittag. Ich stehe mit dem Einkaufszettel in der Hand vor den Backwarenregalen des führenden „Tiefstpreis“-Discounters und schaue ungläubig. Alles leer. Kein Toastbrot, weder mit noch ohne Körner, kein Mischbrot, kein Schwarzbrot – nichts. Dabei bin ich nicht einmal in der Schmuddelfiliale um die Ecke, an deren halbleere Regale mit angeschimmeltem Obst und keimenden Kartoffeln ich mich inzwischen gewöhnt habe, sondern bin extra in eine Filiale gefahren, die in ein Einkaufscenter eingebettet ist.

Kopfschüttelnd drehe ich eine Runde, um die anderen Positionen auf meinem Zettel abzuarbeiten. Bier, Wein, Sekt, Saft, Cola, Käse, Wurst, Kekse. Alles da. Mandarinen gibt es keine, nicht einmal bio. 

Auch die normalen Bananen sind alle. Dafür signalisieren mir welche mit großen schwarzen Flecken, daß sie garantiert fair gehandelt und ihre Fehlstellen ihrem biologischesn Heranwachsen und bestimmt auch dem Schiffstransport mit biologischem Schweröl geschuldet sind. Ich zücke das Handy und mache ein Beweisfoto, damit mir meine Frau später glaubt, daß ich die Bioware nicht wegen des Preises, sondern wegen des Aussehens liegengelassen habe.

Mehr Tierwohl wird mir versprochen, aber ich habe unlängst einen Bericht über die Gewinnmargen gelesen.

Die haltbare fettarme Milch im Tetrapack ist inzwischen fast doppelt so teuer, wie vor Corona und Ukrainekrieg, dafür aber mit vielen bunten Aufdrucken versehen. Unter anderem wird mir versichert, daß die Kühe mehr Platz haben, Futtermittel ohne Gentechnik erhalten und unter Außenklimabedingungen gehalten werden. 

„Mehr Tierwohl mit dem Haltungswechsel“, versucht der Discounter mich gnädig zu stimmen. Aber ich habe unlängst erst einen Bericht über die Gewinnmargen der Eigentümerfamilie gelesen und bin ungnädig. Und was bedeutet schon, daß die Milch angeblich „überwiegend“ aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stammt? Und der Rest? Aus China? Milch-Mix?

Ein junger Marktmitarbeiter sammelt leere Kartons in einen Wagen. Ich spreche ihn an und deute auf die leeren Regale, „ob das hier immer so aussehe?“ Er schüttelt den Kopf. Die Leute hätten eingekauft, „als würde morgen der Krieg ausbrechen“. Darauf sei man nicht vorbereitet gewesen. Und nein, mit neuer Ware sei heute nicht zu rechnen.