© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/23 / 04. August 2023

Von Lilli bis He-Man und Rommel
Spielzeug- und Actionfiguren haben deutsche Wurzeln
Bernd Rademacher

Der Tiefseetaucher mit dem schweren Helm sinkt auf den Meeresboden. Doch versehentlich tritt er mit einem seiner Bleischuhe in eine geöffnete Riesenmuschel. Blitzschnell schnappt die Mördermuschel zu und hält den Taucher gefangen. Wird er es schaffen, sich zu befreien? Reicht seine Atemluft? Dieses Drama spielt sich in der heimischen Badewanne ab, und ich bin zehn Jahre alt. Der Taucher heißt Big Jim.

Big Jim war der Versuch des US-Spielzeugkonzerns Mattel, vorpubertären Jungs ein maskulines Gegenangebot zum erfolgreichen, jüngst verfilmten Barbie-Kosmos zu machen, das deutlich männlicher daherkam als Barbies biederer Gefährte Ken. Das Identifikationsangebot wurde dankbar angenommen: Schließlich konnte Big Jim per Knopfdruck auf den Rücken einen Karatehieb ausführen und seinen Bizeps anschwellen lassen, wenn man seine Unterarme nach oben bog. Dafür war er nur 24 Zentimeter groß.

Wie wäre es mit einem kleinen Wehrmachtsgeneral aus Plastik?

Actionfiguren genießen Kultstatus als Spielzeug für Jungs und noch mehr als Sammelobjekt für erwachsene Kindsköpfe. Für besonders seltene oder unberührt originalverpackte Exemplare werden auf Handelsplattformen und Messen teils vierstellige Summen gezahlt. Von Star-Wars-Charakteren bis zu Musikstars wie Lemmy von Motörhead, von Comic-Klassikern wie Tim & Struppi bis zu den Kinohelden des Marvel-Imperiums (Spiderman & Co.) gibt es kaum ein Idol, von dem es nicht auch eine Actionfigur gäbe. Für Sportler der US-Wrestling-Liga gilt es als populärer Durchbruch, wenn sie ihre eigene Actionman-Edition bekommen wie Mr. T. oder Hulk Hogan.

Doch man staune: Die Geschichte der Spiel- und Actionfiguren beginnt in Deutschland. 1952 erschien in der Bild-Zeitung der Fortsetzungs-Comic „Lilli“. Figur und Folgen wurden so populär, daß Springer 1953 beschloß, eine Puppe als Werbemittel fertigen zu lassen. Die Spielzeugfabrik Hausser in Neustadt bei Coburg produzierte mehr als hunderttausend Lillis plus Kleider und Accessoires. 1958 entdeckte die Mattel-Mitgründerin Ruth Handler auf einer Deutschlandreise bei einem Schaufensterbummel eine Lilli, schuf nach ihrem Vorbild Barbie und präsentierte diese ein Jahr später in den USA auf der nationalen Spielzeugmesse.

Eine Dekade nach Big Jim landete Mattel mit „He-Man“ und den „Masters of the Universe“ dank TV-Reklame den nächsten Vermarktungshit. He-Mans Körper soll der Legende nach von „Conan der Barbar“-Darsteller Arnold Schwarzenegger inspiriert sein. Um den muskulösen He-Man und den Erzschurken Skeletor erschuf die Kreativabteilung einen ganzen Zoo von Fantasiefiguren. Dazu entstanden Comics, Hörspiele, Zeichentrickserien und sogar ein trashiger Realfilm. Allerdings erkor sich die amerikanische Schwulenszene den athletischen, blonden Schönling He-Man zur Symbolfigur. Damals fanden Mattels PR-Manager das weniger witzig, heute sind sie ganz „proud“ darauf.

Aber auch Figuren, auf die der Zeitgeist nicht so stolz abfährt, gibt es. Der niederländische Netzladen www.actionfiguren-shop.com produziert militärische und polizeiliche Figuren aller Art. Neben der bekannten US-Irakkriegsveteranin Megan Leavey mit ihrem deutschen Schäferhund Rex oder einem deutschen SEK-Polizisten in voller Einsatzrüstung (229 Euro) werden auch Persönlichkeiten des Ersten und Zweiten Weltkriegs als Plastikmännchen angeboten. Zum Beispiel Weltkriegs-Feldmarschall Erwin Rommel („The Desert Fox“) und Flieger-Ass Adolf Galland sowie die Generäle Walter Model und Gerd von Rundstedt – wobei man sich fragt, wieso die bei unseren Nachbarn populär sind.

Nicht wenige dieser Figuren landen zum Glück nicht als Staubfänger auf dem Regal, sondern im ungeöffneten Karton an einem sicheren Ort – als Anlageobjekt mit guten Aussichten auf Wertwachstum. Reifeverzögerte Nerds mit Sammeltick, die für Kindheits-Reliquien einen Haufen Geld zahlen, wird es sicher auch künftig geben. Nur müßten die Modelle zeitgemäß angepaßt werden: Wie wäre es mit einem Klimakleber-Set (mit Straßendiarama), Corona-Maskenträgern, Drag Queens oder einem muskulösen Super-Bademeister? Automatisch würde es dann wenige Jahre später die Gegenmodelle geben. In einigen Jahrzehnten ist das alles als retro sicher schwer hip.