© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/23 / 04. August 2023

Umwelt
Windrad knickt erneut ein
Paul Leonhard

Es sieht auf dem Acker in Gescher im Münsterland aus, als wäre ein Flugzeug abgestürzt – aber es handelt sich um den 50-Tonnen-Kopf einer D4/600, das den Gewittersturm am 4. Juli nicht überstand und mit dem Großteil des Turms der Windkraftanlage (WKA) 70 Meter in die Tiefe stürzte. Weder hatten sich die Flügel wie vorgesehen aus dem Wind gedreht, noch die Bremse den Rotor gestoppt. Beide Sicherheitssysteme versagten. Es ist bereits der fünfte Absturz des Modells mit 600 Kilowatt Nennleistung. Über 140 weitere sollen in Deutschland noch in Betrieb sein. Den Hersteller, die Lübecker New-Economy-AG DeWind, gibt es längst nicht mehr. Dienstleister gewährleisten die Wartung. Aber „es gibt kein Register, in dem ein solcher Schaden angemeldet werden muß und an alle Betreiber weitergegeben wird“, so Gutachter Jürgen Holzmüller im WDR.

Ein Rückbau wäre zu gefährlich gewesen. Gutachter hatten schwere Konstruktionsfehler entdeckt.

Das wäre „ nicht mit einem zusätzlichen Mehrwert verbunden“, wiegelt der „grüne“ Bundesverband Windenergie ab. 98 Prozent der bislang 28.000 WKA in Deutschland würden „ausgesprochen sicher laufen“. Der TÜV-Verband zählt jährlich etwa 50 „gravierende Schäden“. Und das nicht nur bei Altanlagen: Im Windpark Haltern am See wurde am 24. Mai ein 250-Meter-Windrad nur wenige Monate nach seiner Errichtung gesprengt, nachdem im Herbst 2021 eine baugleiche Nordex-Anlage eingestürzt war. Ein Rückbau wäre zu gefährlich gewesen. Gutachter hatten schwere Konstruktionsfehler entdeckt. Fast sieben Jahre hielt die 95-Meter-WKA im Windpark Sitten bei Leisnig (Sachsen) durch, bis sie Ende 2016 zusammenbrach. Wartungslücken wurden nicht festgestellt. 2014 und 2016 stürzten zwei baugleiche WKA in Südbrandenburg und in Vorpommern zusammen. Es werden nicht die letzten gewesen sein: Einmal weil immer mehr WKA „in die Jahre kommen“. Und weil Kanzler Olaf Scholz angedroht hat, bis 2030 täglich „vier bis fünf Windräder“ neu errichten zu lassen – und sogar immer näher an Wohnbebauung.