Bildungsbürger. Martina Hartmanns Doppelbiographie über die Philosophiehistorikerin Hildegund Rogner und den Mediävisten Ottokar Menzel beginnt mit einem Besuch auf dem Waldfriedhof Stahnsdorf bei Berlin, wo die seit 1938 verheirateten Nachwuchswissenschaftler mit dem gemeinsamen Todesdatum 7. Februar 1945 ruhen. Menzel hat an diesem Tag zunächst seine Frau, dann sich selbst erschossen. Aber nicht die Aufklärung dieser persönlichen Tragödie ist der wesentliche Ertrag der akribischen Spurensuche Hartmanns, sondern ihre Rekonstruktion zweier bildungsbürgerlichen Biographien während der NS-Zeit. Hartmanns Protagonisten erweisen sich als typische Vertreter einer Intellektuellenschicht, die sich mit der Diktatur in „passiver Distanz“ arrangierten, sich im nachhinein weder als Täter noch als Opfer klassifizieren lassen. Daher weitet sich diese Darstellung von zwei Einzelschicksalen, von denen das Ottokar Menzels bis in die Kriegsgeschichtliche Abteilung des Oberkommandos der Wehrmacht im ostpreußischen Führerhauptquartier zu verfolgen ist, zur zeithistorisch so gewichtigen wie bislang nicht nachdrücklich gestellten Frage aus, wie sich bürgerliches Dasein im totalitären Kontext behauptete. Zur Beantwortung dieser Frage hat Hartmann eine wertvolle Fallstudie vorgelegt, die sich an der Formel orientiert, die Wolfgang Schwiedrzik für den im Rastenburger „Sperrkreis“ tätigen Felix Hartlaub prägte, wonach auf diesem Forschungsfeld „jede binäre, nur schwarz-weiß zeichnende Form der Analyse und Darstellung unangebracht“ sei. (ob)
Martina Hartmann: „Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner letzten Stunde nichts“. Das Wissenschaftler-Ehepaar Hildegund und Ottokar Menzel (1910–1945), Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2023, broschiert, 232 Seiten, Abbildungen, 49,90 Euro
Dekonstruktionen. Historische Figuren erfahren heute allerlei Denkmalstürze, meist weil sie moralischen Standards der Gegenwart nicht genügen. Der Politologe Udo Witzens dekonstruiert vorsichtiger. Daß seine Protagonisten – Nationalheilige wie Dschingis Khan, Napoleon, Otto von Bismarck über Stepan Bandera, Winston Churchill bis Aung San Suu Kyi – natürlich Licht und Schatten aufwiesen, dürfte nur politisch Naive überraschen. Dennoch bietet seine kleine Schau amüsante Details. So stand der mongolische Völkerschlächter gleichzeitig für religiöse Toleranz, der Korse war – deutsche Dichter der Befreiungskriege wußten das noch – trotz „Code Napoleon“ ein rücksichtsloser Menschenverächter, und die Nobelpreisträgerin aus Myanmar entpuppt sich als „beinharte Nationalistin“. Selbst bei Mutter Teresa (religiös Eifernde mit brutalem Geschäftssinn) kratzt Witzens am Heiligenschein. (bä)
Udo Witzens: Helden oder Henker? Die dunklen Seiten der Nationalhelden. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2023, broschiert, 406 Seiten, 30 Euro