Schon im ersten Satz ihres Essays „Flüchtige Jugend“ vereint die Soziologin Ulrike Bialas eine Selbsttäuschung und eine Täuschung ihrer Leser: „Immer mehr junge Menschen fliehen ohne ihre Familie vor Konflikten, Entrechtung und Armut und stellen in Deutschland einen Asylantrag.“ Mit dieser wenig analytischen Verkürzung disqualifiziert sich die Migrationsforscherin eigentlich als als Wissenschaftlerin. Kann doch der Mitarbeiterin des Göttinger Max-Planck-Instituts (MPI) zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften unmöglich entgangen sein, daß „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“, von denen allein 2015 und 2016 fast 60.000 in die Bundesrepublik strömten, in der Regel nicht Mißständen in ihren Herkunftsländern ausweichen – an denen auch vor 2015 kein Mangel herrschte –, sondern in der Regel von sicheren Drittstaaten aus dem Lockruf des deutschen Sozialsystems folgten (Max Planck Forschung, 2/2023).
Bialas, die am MPI und in Princeton ihre Dissertation zum Thema „Forever 17. Coming of Age in the German Asylum System“ anfertigte, sieht ihre These von den exklusiven Fluchtursachen in Afghanistan oder Somalia, woher viele dieser illegalen „Migranten“ stammen, nicht einmal durch das von ihr immerhin benannte Phänomen der Identitätsverschleierung erschüttert: „Viele junge Geflüchtete besitzen keine Identität, verfügen fast nie über entsprechende Dokumente, einige kennen ihr Geburtsdatum gar nicht.“ Nach groben Schätzungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge können überhaupt nur vierzig Prozent aller Asylbewerber ihre Identität nachweisen.
Altersbestimmung fortan lieber unterlassen
Für diejenigen unter ihnen, die behaupten, sie seien minderjährig, weil dann automatisch Schutz vor Abschiebung ins EU-Land ihrer ersten Einreise garantiert ist, nehmen deutsche Behörden Altersbestimmungen vor und lassen dafür radiologische Aufnahmen auswerten, um anhand der Knochenbildung Rückschlüsse auf das exakte chronologische Alter zu ziehen und, was jedoch selten genug vorkommt, dieser Klientel das Aufenthaltsrecht zu entziehen.
Bialas fand selbst diese moderate Praxis unerträglich. Jahrelang habe sie sich für ihre Doktorarbeit in „teilnehmender Beobachtung“ mit „Geflüchteten ohne Alter“ befaßt, baute ein „Vertrauensverhältnis“ zu ihnen auf, engagierte sich in einem Verein, der ehrenamtliche Vormünder an „Unbegleitete“ vermittelt und lebte in einer gemischten Gruppe Minderjähriger und junger Volljähriger. Nachdem sie derart jede Distanz zum Untersuchungsobjekt preisgegeben hat, schlägt sie als Resultat ihrer Forschungen vor, diese Variante der Masseneinwanderung als „kluge gesellschaftliche Investition“ zu begreifen und alle Bemühungen zur Altersbestimmung fortan zu unterlassen. Hier deckt das Gütesiegel Max Planck Wissenschaftszersetzung in Potenz, wie sie heute im Innern der Institutionen stattfindet.