Die beiden Porträts zeigen eine herbe, fast männliche Frau. Die Haare offen. Die Lippen zusammengekniffen. Kein Rouge, kein liebliches Lächeln, nichts beschönigend. So sah also Rosalba Carriera (1673–1757) aus, so sah sich die venezianische Pastellkönigin selbst: eine erfolgreiche Geschäftsfrau mit einem europaumspannenden Netzwerk und einem Gespür für Absatzmöglichkeiten, eine anerkannte Künstlerin, die seit ihrem 22. Lebensjahr eine eigene Werkstatt unterhielt und zu deren Bewundern auch der sächsische Kurfürst und polnische König August der Starke und vor allem dessen Sohn zählten.
Vor allem letzterer war von Carriera nach einem Venedig-Besuch so beeindruckt, daß er sich von ihr regelmäßig Pastelle nach Dresden schicken ließ und die Werkstatt des „Superstars des 18. Jahrhunderts“ – so Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen (SKD) – häufig besuchte. Das königliche Kabinett hieß bei Hofe letztlich nur noch „Kabinett Rosalba“, obwohl es doch auch Werke anderer Künstler enthielt.
Carriera war zu Lebzeiten bekannt, gefragt, berühmt, durch ihre Kunst reich geworden, ist aber im Gegensatz zu Antoine Watteau oder Giovanni Antonio Canal (Canaletto) ab dem 20. Jahrhundert in Vergessenheit geraten. Ein Grund dafür dürfte sein, daß die Pastellmalerei als nicht mehr modern galt. Auch waren Miniaturbilder durch die Fotografie verdrängt worden, während Canalettos Gemälde von Stadtlandschaften für die Kunstinteressierten nichts von ihrem Reiz verloren hatten und durch die neuen Reproduktionsmöglichkeiten in fast jedem bürgerlichen Wohnzimmer hingen.
„Weibliche Positionen sind unterrepräsentiert“
Ackermann spricht von der „unbewußten Unterdrückung weiblicher Positionen im 20. Jahrhundert“, die Carriera durchs Raster der öffentlichen Wahrnehmung fallen ließ. Nicht nur die Kunstgeschichtsschreibung noch in den 1950/60er Jahren, auch die damaligen Museumsdirektoren hätten Frauen die künstlerische Begabung abgesprochen. Die Positionen der noch dreißig Jahre zuvor florierenden Moderne seien in Vergessenheit geraten. Man könnte auch sagen, der zeitgenössische Geschmack hat sich seit dem 18. Jahrhundert einfach geändert, aber dann fehlt der feministische Ansatz, den Ackermann benötigt, um zu begründen, warum sie gleich neun Künstlerinnen in zwei Ausstellungen „Aus dem Schatten“ – so der Titel der bis 20. August zu sehenden Schau – des Vergessens gerissen hat. „Weibliche Positionen sind in der Sammlung stark unterrepräsentiert“, so Ackermann. Dazu kommen neue Erkenntnisse zu den Lebensumständen von Künstlerinnen, die überhaupt erst eine korrekte Zuschreibung ihrer Werke ermöglichen.
So widmen die Kunstsammlungen nicht nur Rosalba Carriera anläßlich deren 350. Geburtstag mit „Perfektion in Pastell“ (bis 24. September) eine eigene Ausstellung, die in der Sempergalerie der Gemäldegalerie Alte Meister ein eigenes Kabinett mit rund 100 Werken füllt, sondern stellen auch Werke von Lavinia Fontana (1552–1614), Diana Scultori (1547–1612), Rachel Ruysch (1664–1750), Maria van Oosterwijck (1630–1693), Barbara Longhi (1552–1638), Angelika Kauffmann (1741–1807), Elisabetta Sirani (1638–1665) oder Theresa Concordia von Maron (1725–1806) vor und ordnen diese in den zeitgenössischen Kontext ein. Die meisten sind Töchter berühmter Maler, die von ihren Vätern ausgebildet wurden. So war Marietta Robusti die Tochter des venezianischen Malers Jacopo Robusti, bekannt als Tintoretto, der sie im Malen und Zeichnen unterrichtete und sie auch, verkleidet als Junge, auf seinen Reisen mitnahm. Die Schau zeigt das um 1567/68 entstandene „Selbstbildnis mit Jacopo Strada“, das 1749 aus der kaiserlichen Galerie in Prag für Dresden erworben und bisher Tintoretto zugeschrieben wurde, jetzt aber von Ausstellungskuratorin Iris Yvonne Wagner der Tochter zugeordnet wird.
Elisabetta Sirani aus Bologna, die sich auf mythologische Szenen für private und öffentliche Andachten konzentrierte, hat dagegen bereits mit 17 Jahren begonnen, ein Werkverzeichnis anzulegen, so daß heute 200 von ihr signierte Werke bekannt sind. Bei Lavinia Fontana sind es 134 Werke, auch sie hatte nicht nur ein eigenes Atelier, sondern übernahm sogar die Werkstatt ihres Vaters. Von ihr ist mit der um 1575 entstandenen „Heiligen Familie“ eines ihrer sehr frühen Werke zu sehen. Die Malerin Angelika Kauffmann wurde von ihrem Vater ausgebildet, gefördert, machte international Karriere und stellte als eine der ersten weibliche Figuren ins Zentrum ihrer Historienbilder.
Rachel Ruysch, das älteste Kind des Botanik- und Anatomie-Professors Frederik Ruysch, fiel schnell durch ihre erstaunlichen Blumenstilleben auf. Als erste Frau wurde sie Mitglied in der Confrérie Pictura in Den Haag, einer Bruderschaft der Malerei. Sie wurde 1708 Hofmalerin des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz in Düsseldorf, und der Dresdner Hof kaufte von ihr zwei Gemälde. Die aus Aussig stammende Theresa Concordia von Maron war ebenfalls eine renommierte Pastell- und Miniaturenmalerin, die 1766 in die Accademia di San Luca aufgenommen wurde und zahlreiche Aufträge von Höfen aus ganz Europa erhielt, darunter eine Pension der russischen Zarin. Ab 1745 arbeitete sie als Kabinettmalerin für den sächsisch-polnischen Hof.
Für alle dieser Künstlerinnen sei es aber nicht einfach gewesen, einen eigenen Weg zu gehen – was nicht ihrem Unvermögen geschuldet war, sondern einer strukturellen Diskriminierung, die sich in der Kunsthistoriographie fortschrieb, so Stephan Koja, bis Ende März Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister. Andererseits schätzten insbesondere die Wettiner offenbar das Werk der zeitgenössischen Künstlerinnen. „Als Kurfürst und König August III. im Jahr 1740 zwei Gemälde von Maria van Oosterwijck für seine Gemäldesammlung kaufen ließ, war er keineswegs der erste sächsische Monarch, der die außergewöhnliche Qualität der Stillebenmalerei dieser holländischen Künstlerin zu schätzen wußte“, schreibt die Kunsthistorikerin Uta Neidhardt im Ausstellungskatalog. Bereits mehr als 50 Jahre zuvor habe Kurfürst Johann Georg III. in Den Haag drei Werke für seine Kunstkammer erworben.
Die Ausstellung beleuchte daher die gesellschaftlichen und institutionellen Voraussetzungen und Schwierigkeiten, mit denen sich Frauen in der Neuzeit konfrontiert sahen, so Koja. Und er verweist darauf, daß die von einer Frau geführten Staatlichen Kunstsammlungen damit im Trend liegen: Denn im laufenden Jahr widmen sich gleich mehrere Museen den Leistungen von Künstlerinnen, so mit „Lavinia Fontana: Trailblazer, Rule Breaker“ die National Gallery of Ireland in Dublin, mit „Muse und Macherin? Frauen in der Kunstwelt 1400–1800“ das Berliner Kupferstichkabinett oder mit „Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten“ das Bucerius-Kunst-Forum Hamburg und das Kunstmuseum Basel.
Interessant ist, daß viele der in der Dresdner Schau zu sehenden Kunstwerke nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von der Sowjetunion aus Dresden als Trophäen geraubt wurden und bis 1955 in Kiew oder Moskau ausgestellt waren.
Die Ausstellung „Aus dem Schatten. Künstlerinnen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert“ ist bis zum 20. August im Dresdner Zwinger, Theaterplatz 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Ebenfalls dort wird bis zum 24. September die Schau „Rosalba Carriera – Perfektion in Pastell“ gezeigt