Eine kritische Aufarbeitung der deutschen Corona-Politik zwischen 2020 und 2022 ist bis heute ausgeblieben. Aber es scheint seitens des Deutschen Ethikrats, einem Gremium, das unter seiner Vorsitzenden, der Medizinethikerin Alena Buyx (TU München), alle staatlichen Grundrechtseingriffe propagandistisch gerechtfertigt und gegen die Teilhabe von Ungeimpften am sozialen und kulturellen Leben agitiert hat, eine vorsichtige Distanzierung von dieser Politik im Gange zu sein. So läßt sich jedenfalls der Essay „Welche Ethik vertritt der Deutsche Ethikrat?“ von Johannes Fischer deuten (Zeitschrift für Evangelische Ethik, 2/2023). Der emeritierte Zürcher Professor für Theologische Ethik widmet sich darin der Ende November 2022 veröffentlichten „Ad-hoc-Empfehlung“ der regierungsfrommen Buyx-Truppe mit der Überschrift „Pandemie und psychische Gesundheit. Aufmerksamkeit, Beistand und Unterstützung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene“. Der Text enthalte einen vermeintlich selbstkritischen Rückblick auf die Versäumnisse beim Schutz dieser Personengruppen. Tatsächlich werde hier das politische Versagen des Ethikrats in ein moralisches Versagen der Gesellschaft umgebogen: Dieses Kollektiv sei seinen jüngeren Mitgliedern moralisch etwas schuldig geblieben, weil es ihnen während der Pandemie abverlangte, medizinisch gar nicht gebotene „Solidarität“ mit gefährdeten Erwachsenen zu üben. Wenn der Deutsche Ethikrat nun im Namen der „Gesellschaft“ ein wohlfeiles Schuldeingeständnis ablege, um zugleich die Rolle der Politik zu verschweigen, lasse er seine eigene Verantwortung im anonymen „Wir“ verschwinden.