Die „Zinskurve“ ist derzeit in aller Munde. Normalerweise versteht man darunter, daß längere Zinsen höher sind als kurzfristige. Ab einer Laufzeit von ein paar Monaten steigen Zinsen rapide bis zu mittelfristigen Laufzeiten von ein paar Jahren. Für noch längere Laufzeiten ist der Anstieg dann nicht mehr sehr hoch. Je nachdem, wie stark der Anstieg mit der Laufzeit ausfällt, spricht man von einer steilen oder flachen Zinskurve. Der Grund für den höheren Zinssatz bei längeren Laufzeiten ist das höhere Zinsänderungsrisiko über einen längeren Zeitraum.
Doch normal ist nichts nach der schnellsten Zinserhöhung der Moderne, in der Null- und Negativzinsen innerhalb rund eines Jahres auf 4,0 Prozent (EZB) bzw. 5,25 (US-Fed) Prozent erhöht wurden. Pechvögel wie die kalifornische Silicon Valley Bank mußten lernen, daß Zinsänderungsrisiko keine abstrakte Theorie ist. Und auch die Zinskurve ist alles andere als normal. Derzeit sind kurzfristige Zinsen höher als langfristige. Der Grund für diese verkehrte Zinswelt ist die Erwartung der Anleger, daß die Inflation in den nächsten zwei Jahren unter Kontrolle gebracht wird und die Zinsen dann wieder sinken.
Zinskurve ist auch ein Thema in Japan. Die Bank von Japan hielt bis vor wenigen Tagen an einer Politik der flachen Zinskurve fest: Sie kaufte länger laufende Staatsanleihen, um so langfristige Zinsen nur knapp über dem Niveau der kurzen Sätze von 0,25 Prozent zu halten. Am 27. Juli kam dann überraschend die Wende: Man werde höhere Zinsen am Ende zulassen. Tumulte an den Märkten waren die Folge der plötzlichen Kehrtwende.
Zwar nicht so turbulent, aber nicht weniger dramatisch sieht es in Europa und den USA aus. Eine „Inversion“ der Zinskurve gilt als zuverlässiges Rezessionsbarometer, denn bei schlechter Konjunktur sinken bald die Zinsen. Seit 1953 folgte auf jede Inversion der US-Zinskurve eine Rezession. Allerdings ist eine Rezession als Folge der Inversion kein Automatismus, sondern lediglich eine Wahrscheinlichkeit, wenngleich auch eine sehr hohe. Die Fed selbst hat viel Energie in die Analyse der Zinskurve gesteckt und schätzt die Wahrscheinlichkeit einer Rezession bis Mai 2024 auf 70 Prozent aufgrund des Ausmaßes der Inversion.
Wer in Euro anlegt, muß auch mit Währungsschwankungen rechnen
Eingebürgert hat sich die Messung der Zinskurve als Renditeunterschied zwischen zwei- und zehnjährigen Staatsanleihen. Seit Juli 2022 ist er negativ, zuletzt mit minus 0,93 Prozent. Nur 1981 lag er mit -1,99 Prozent noch mehr im Minus. Der Durchschnittswert seit 1975 ist 0,86 Prozent (positiv), der Höchstwert lag bei 2,8 Prozent im März 2010. Die Dauer der Inversion liegt meist bei ein bis zwei Jahren.
Risikofreudige Anleger können auf eine baldige Rückkehr zur Normalität einer steigenden Zinskurve wetten. Interessant ist das, wenn man sich nicht sicher ist, auf welchem Niveau sich die Zinsen einpendeln werden, aber von einer Normalisierung der relativen Zinsen ausgeht. Zwei ETFs (börsennotierter Fonds) geben auch Kleinanlegern Zugang zu dieser Strategie, die sonst nur von Großanlegern umgesetzt werden kann: der Kauf zweijähriger und gleichzeitige Leerverkauf zehnjähriger Anleihen. Weil die Gewinne bei dieser Strategie sich im Hundertstelprozentbereich bewegen, setzen beide Fonds Hebel ein, um diese Gewinnchancen zu versiebenfachen.
Das geht nur mit Derivaten, und so wird aus einer Anlagestrategie in Staatsanleihen schnell ein Konstrukt, das vielen Anlegern suspekt ist. Doch die Renditechancen sind verlockend: Kehrt die Zinskurve auf ihr Durchschnittsniveau von 0,86 Prozent zurück, können die Fonds theoretisch um zwölf bis 15 Prozent zulegen. Hauptrisiken sind eine noch stärkere Inversion wie im Jahr 1981 oder auch ein längeres Verweilen auf dem derzeitigen Niveau, was zu einer langsamen Erosion des Fondsvermögens führen kann. Eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Fonds ist berechtigt, die nicht die Vermögenswerte enthalten, deren Wertverlauf sie abbilden, sondern die Rendite synthetisch durch Derivate reproduzieren.
Die Emittenten nutzen solche Fonds als Finanzierungsvehikel: Das Fondsvermögen wird in eigene Schuldverschreibungen investiert. Damit trotzdem die Rendite der versprochenen Vermögenswerte erzielt werden kann, enthält der Fonds dann ein Derivat. Diese Konstruktion hat theoretisch die exakt gleiche Rendite wie der direkte Besitz der Vermögenswerte. Mancher Anbieter soll aber Kosten in den Derivaten verstecken. Grundsätzlich gilt: Je komplexer eine Anlagestrategie ist, desto wahrscheinlicher ist es, daß ein Anbieter sie synthetisch abbildet.
Im Falle der beiden Fonds, die auf Zinskurven wetten, werden börsennotierte Futures eingesetzt, was positiv zu sehen ist, weil dabei nicht geschummelt werden kann. Leider setzen beide Fonds dann aber Swaps zur Optimierung der liquiden Mittel ein, was den Vorteil der Futures wieder zunichte macht. Wer in Euro anlegt, muß auch auf Währungsschwankungen gefaßt sein, denn die Fonds investieren in Dollar.
Die Chancen auf eine Normalisierung der Zinskurve stehen gut, doch als Anleger davon zu profitieren, ist keineswegs risikolos.