© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/23 / 04. August 2023

Mit breiter Brust nach Brüssel
Parteitag: Die AfD wählt den ersten Teil ihrer Liste für die Europawahl / Viel gute Laune dank hoher Umfragewerte
Christian Vollradt

Nicht zur Wahl für den ersten Listenplatz anzutreten, „wäre Selbstmord aus Angst vor dem Tode“, meinte der Europaabgeordnete Maximilian Krah am Abend vor Beginn der Europaversammlung in Magdeburg. Am folgenden Tag ging der lange als klarer Favorit Genannte ins Risiko – und gewann. Damit ist der promovierte Jurist aus Sachsen, der seit 2019 mit Mandat in Brüssel und Straßburg sitzt und seit vergangenem Jahr dem AfD-Bundesvorstand angehört, Spitzenkandidat.

Seine Bewerbung dafür hatte der 46jährige lange vorbereitet, Auftritte und Veranstaltungen bei Parteigliederungen im gesamten Bundesgebiet absolviert. Doch Krah kommt nicht bei allen gut an. So halten ihm innerparteiliche Gegner etwa eine zu unkritische Haltung gegenüber China vor. Und dann ist da noch der Vorwurf, Krah habe bei der Vergabe eines Auftrags für Öffentlichkeitsarbeiten an eine Kommunikationsagentur gegen die Ausschreibungsrichtlinien verstoßen. Die Brüsseler Fraktion hatte den AfD-Politiker daraufhin zwar nicht ausgeschlossen, aber seine Mitgliedschaft suspendiert. Daher werde er es in Magdeburg nicht leicht haben, unkten sogar Vorstandskollegen. Und in der Tat war am Vorabend der Wahl eine gewisse Anspannung zu spüren. 

In seiner Bewerbungsrede griff Krah dies auf, um dann den Spieß umzudrehen. Angesichts neuer anonym im Internet gegen ihn verbreiteter Anwürfe falle es ihm nicht leicht, vor die Delegierten zu treten. Die „Verlierer von Riesa“, so spielte er auf den Bundesparteitag im vergangenen Jahr (JF 26/22) an, hätten „in Schmutz investiert“. Dieser Parteitag solle nun „den Dreckwerfern die rote Karte zeigen“, rief Krah und forderte, von Magdeburg solle ein „Signal der Erneuerung, der Kraft und des Patriotismus“ ausgehen.

Bis kurz vor Beginn der Wahlversammlung war unklar, ob überhaupt ein Gegenkandidat ins Rennen um den ersten Listenplatz gehen würde. Von denen, die im Vorfeld ins Spiel gebracht wurden, hatten alle abgelehnt, darunter der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Norbert Kleinwächter; zu groß schien die Gefahr, sich ohne Aussicht auf Erfolg zu verkämpfen. So trat für die meisten vollkommen überraschend Andreas Otti aus Berlin an, Bezirksvorsitzender der AfD in Spandau, und alles andere als ein Parteiprominenter. Der Berufsoffizier und ehemalige Bezirksstadtrat bekam dann als Zählkandidat immerhin 25 Prozent der Stimmen. 

Als am vergangenen Freitag der AfD-Parteitag begann, herrschte eine gelöstere Stimmung, als sie bei früheren solcher Veranstaltungen auszumachen war. Kein Wunder. Mit Umfragewerten jenseits der Zwanzigprozentmarke war bei vielen Teilnehmern die Brust breit und die Laune gut. „Unser Kurs ist richtig und unser Personal ist es auch“, stellte der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla in seiner Begrüßungsrede fest. Intern streiten und diskutieren, nach außen einig auftreten, das sei die richtige Alternative zu den öffentlichen Selbstzerfleischungen früherer Tage. Dennoch sei auch Demut angebracht, betonte der Parteichef; Umfragen seien keine Wahlergebnisse, niemand dürfe sich jetzt auf positiven Zahlen ausruhen. Wichtige Wahlen stünden im Herbst in Bayern und Hessen an, im nächsten Jahr könne die AfD in Thüringen und Sachsen stärkste Kraft werden – und die Regierung stellen.

Lieber mal eine Wurst essen, als mit „Nein“ stimmen

Ziemlich reibungslos konnte der Bundesvorstand dann zwei ihm wichtige Anliegen durchsetzen. So stimmte eine satte Mehrheit für den Beitritt der AfD zur ID-Partei, die ihren Sitz in Paris hat und der unter anderem auch der Rassemblement National und die FPÖ angehören. Vereinzelte Kritiker hatten zuvor bemängelt, damit büße man seine Unabhängigkeit ein. Sie blieben in der Minderheit. Außerdem folgten die Delegierten dem Wunsch, erst die Kandidatenliste aufzustellen und dann über das Wahlprogramm zu beraten. Hintergrund war die Sorge, sich andernfalls zeitlich zu verzetteln. Denn die Wahl der Liste ist beschränkt auf das vergangene und das kommende Wochenende; ein Programm könnte zur Not auch Anfang nächsten Jahres noch beschlossen werden. 

Außerdem hatte die Bundeswahlleiterin die Nutzung elektronischer Abstimmgeräte für die Kandidatenaufstellung untersagt und auf ausreichend Zeit für die Vorstellungsreden der Bewerber gepocht. 

Die Umstellung der Tagesordnung flutschte. Einer deutlichen Mehrheit stand der Sinn weniger nach Programmdebatten. „Die Leute wollen jetzt den Kampf der Gladiatoren in der Arena sehen“, sagt ein Delegierter augenzwinkernd zur Begründung. Und während die zuvor als Favoriten gehandelten Kandidaten Petr Bystron und René Aust glatt auf die Plätze 2 und 3 gelangen, gerät der Ablauf danach ins Stocken. Da schien die AfD wieder in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Da wurden im Vorfeld getroffene Absprachen hinfällig, da brauchte man vier Wahlgänge für einen Kandidaten und da gab es Stichwahlen ohne Sieger. Da schien es wieder wichtiger zu sein, einen bestimmen Bewerber auf jeden Fall zu verhindern als einen anderen. 

Dabei waren es nicht mehr wie früher zwei konträre Lager oder Strömungen, die sich in einem Patt gegenseitig blockierten; die seien weitgehend erodiert, so die Wahrnehmung vieler in der AfD. Neue Bündnisse, zuweilen recht ungewöhnliche, waren geschmiedet, Netzwerke gebildet worden. Neben Teilen des ehemaligen „Flügels“ um Thüringens Landeschef Björn Höcke machten nun vor allem die miteinander konkurrierenden Allianzen von sich reden, die der rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier auf der einen und der niedersächsische Landesvorsitzende Frank Rinck auf der anderen Seite geschmiedet hatten. Sie sind kaum noch ideologisch geprägt und daher auch ziemlich volatil. Gern spricht man dann in der AfD etwas abschätzig von „Beutegemeinschaften“, wobei damit natürlich immer nur die jeweils anderen gemeint sind.

Hinter vorgehaltener Hand gibt mancher die Mitschuld an dieser gegenseitigen Blockade dem Bundesvorstand. Der habe im Vorfeld des Parteitags zu wenig Führung gezeigt, sich vornehm zurückgehalten und die Dinge laufengelassen. Die weiteren Wahlen ziehen sich am Samstag bis kurz vor Mitternacht hin. Um die verfahrene Situation zu lösen, hatten sich am Abend Mitglieder der Parteispitze und Landesvorsitzende auf einem abgelegenen Parkplatz hinter der Versammlungshalle zum Krisengespräch zusammengerauft. 

Erst am Sonntag morgen ringt sich der Parteichef zu einem – zurückhaltend und vorsichtig formulierten – Machtwort durch. „Wir wollen heute wesentlich disziplinierter die weiteren Listenplätze wählen“, mahnte Chrupalla an. Und wer in einem Wahlgang partout keinen der Bewerber wählen und sich auch nicht enthalten wolle, der solle doch bitte anstatt ein „Nein“ anzukreuzen, lieber den Saal verlassen und draußen an der Grillbude ein Würstchen essen. 

Es ist ein Relikt aus den basisdemokratischen Anfangszeiten, daß bei der AfD mit einem „Nein“ auf dem Stimmzettel auch ausdrücklich gegen den oder alle Kandidaten gestimmt werden kann. Das ist vielen Funktionären, die eine Professionalisierung der Partei vorantreiben wollen, ein Dorn im Auge. „Diese Nein-Stimmen-Unsitte muß aufhören, die gibt uns sonst den Rest“, stöhnte ein Bundestagsabgeordneter in Magdeburg entnervt. Ob sich die AfD beizeiten dazu durchringen kann, diese Art destruktives Mißtrauensvotum abzuschaffen, steht allerdings in den Sternen. Genauso, ob ab diesem Freitag bei der Fortsetzung der Listenaufstellung die Absprachen und Bündnisse noch halten. „Wer weiß, vielleicht werden die Karten neu gemischt“, meinte ein Delegierter.