Weg zum Grundgesetz. Nicht jeder Volksvertreter, der heute im Bundestag sitzt, weiß, wann der Staat gegründet wurde, der ihm seine Diäten zahlt. Nach dem jüngsten Interview mit der grünen Nachwuchshoffnung Emilia Fester, die darüber rätselte, ob die Bundesrepublik „im“ Zweiten Weltkrieg oder 1945 oder doch eher 1946 entstanden sein könnte, keimt zumindest ein Anfangsverdacht, daß die 25jährige Einser-Abiturientin mit ihrer atemberaubenden geschichtlichen Unkenntnis nicht allein im Hohen Hause ist. Gäbe es bei dieser Klientel das Bedürfnis, solche Wissenslücken zu schließen, käme ihnen der schmale Band zur rechten Zeit, in dem Michael F. Feldkamp den Prozeß rekonstruiert, der 1948/49 zum Grundgesetz (GG) und zur Gründung der Bundesrepublik führte. Der Autor verspricht eingangs eine „neue Sichtweise“ auf die Entstehungsgeschichte des GG und auf die Vorgeschichte des westdeutschen Teilstaates. Auch der auf Kurt Schumachers (SPD) Verhöhnung Konrad Adenauers als „Kanzler der Alliierten“ fußende negative „Gründungsmythos“ von der Einflußnahme der westlichen Besatzungsmächte auf deutsche Politiker solle abermals beleuchtet werden. Im Ergebnis mündet diese Neubewertung jedoch in der unspektakulären Feststellung, die alliierten Einflüsse hätten sich innerhalb der deutschen Verfassungstradition bewegt. (ob)
Michael F. Feldkamp: Adenauer, die Alliierten und das Grundgesetz. Langen Müller Verlag, München 2023, gebunden, 176 Seiten, Abbildungen, 22 Euro
Weiße Rose. Hans Scholl und Alexander Schmorell halten beide nichts vom Dritten Reich. Im Sommer 1941 lernen sie sich beim Schwänzen des Wehrsports kennen. Die Westfront-Veteranen unterhalten sich erst einmal nur über Kunst. Kurze Zeit später machen sie sich bei einer Flasche Wein bereits über den Schreibstil von „Mein Kampf“ lustig. Ein weiteres Jahr später versenden sie in München anonym NS-kritische Flugblätter an Schriftsteller und Professoren. Die Protestgruppe der Weißen Rose wächst darauf um einige Mitglieder, unter anderem Hans Schwester Sophie. „Massenmörder Hitler“ ist jetzt auch öffentlich an den Scheiben von Autos und Telefonzellen zu lesen. Doch eine öffentliche Reaktion bleibt aus. Nun sehen sich die Geschwister genötigt, einen Schritt weiter zu gehen. Der Roman von Irene Diwiak beginnt mit der Festsetzung von Hans und Sophie Scholl in der Münchner Universität am 18. Februar 1943 und endet mit der Nacht einen Tag zuvor. Eine Chronologie der Ereignisse darf der Leser hier also nicht erwarten, dafür eine sehr gefühlvolle Annäherung in die Gedankenwelt der Weiße-Rose-Protagonisten. (jw)
Irene Diwiak: Sag Alex, er soll nicht auf mich warten. Verlag C. Bertelsmann, München 2023, gebunden, 368 Seiten, 24 Euro