In der Dunkelheit des frühen Morgens des 26. Juli 1953 schleichen sich junge Männer in schlecht sitzenden Armeeuniformen an die Mauern der „Carlos Manuel de Céspedes“-Kaserne im ostkubanischen Bayamo heran. Sie stolpern über Dosen und Unrat, so daß die Pferde in ihren Ställen unruhig werden. Als einer der Wachsoldaten nachschauen geht, löst sich bei den Rebellen ein Schuß. Jetzt ist die Garnison alarmiert. Der Überraschungseffekt, auf dem der ganze von Fidel Castro ausgearbeitete Plan beruht, ist dahin. Die Soldaten feuern blindlings mit Karabinern und einem Maschinengewehr, worauf die nur mit Schrotflinten bewaffneten, militärisch unerfahrenen Angreifer das Weite suchen. 21 Möchtegern-Revolutionäre flüchten vor neun schlaftrunkenen Soldaten – größer ist die Garnison in Bayamo nicht. In der späteren kubanischen Geschichtsschreibung sind erstere aber „Helden und Märtyrer“.
Wie in Bayamo geht der zeitgleich angesetzte Angriff auf die wesentlich größere Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba aus, nur daß hier der Blutzoll auf beiden Seiten ungleich höher ist – auch weil der Garnisonskommandant Oberst Alberto del Río Chaviano jene Männer, die in Armeeuniformen ein ziviles Krankenhaus gestürmt und von dort aus die Kaserne beschossen haben, standrechtlich als Terroristen erschießen läßt. Insgesamt werden neun Rebellen im Kampf getötet, elf verletzt, vier davon durch Schüsse der eigenen Leute. Das Regiment selbst verzeichnet 18 Tote und 28 Verwundete. Castro, der rasch erkennt, daß die Sache schiefgeht, läßt seine Kameraden im Stich und flüchtet. Überdies hat fast ein Drittel der 181 Revolutionäre nicht am Angriff teilgenommen, weil es sich in der Stadt verfahren hatte oder mit Reifenpannen liegengeblieben war. Ein Dutzend Männer desertiert.
„Wir wollten der Batista-Armee die zweitgrößte Militärfestung des Landes mit über tausend Soldaten nehmen, und wir hätten sie besetzen können“, sagt Castro später: „Wir erlitten eine sehr schwere Niederlage“, aber noch heute sei er der Meinung, daß „der Plan kein schlechter Plan war; es war ein guter Plan“. Natürlich wußte Castro, daß die Garnison nicht „über tausend“, sondern maximal 426 Soldaten zählte, von denen an diesem Karnevalssonntag lediglich zwischen 250 und 300 anwesend waren. Zum Opfermythos der Revolution zählt auch, daß 61 gefaßte Rebellen, darunter Castros Stellvertreter Abel Santamaría Cuadrado die „Augen ausgestochen sowie die Genitalien und einzelne Gliedmaßen abgeschnitten“ wurden.
Es gebe keine Beweise dafür, daß die Gefangenen gefoltert wurden, schreibt der kubanisch-amerikanische Historiker Antonio Rafael de la Cova in seinem 2007 erschienenen Buch „The Moncada Attack: Birth of the Cuban Revolution“, in dem er die Ergebnisse seiner Forschungen sowie 115 Interviews mit Teilnehmern der Ereignisse vorstellt. Je größer aber die Zahl der Angegriffenen, die Zahl der eigenen Toten, das Grauen, desto größer der Opfermythos der Revolution, von der sie bis heute zehrt.
Castro hatte ursprünglich geplant, die in der Kaserne erbeuteten Waffen den Bürgern der Stadt zu übergeben, aber auch das wäre wohl mißglückt, wie eine Episode nahelegt, die Orlando Castro García erzählt: Unmittelbar nach dem gescheiterten Angriff auf die Kaserne in Bayamo glaubt der Rebell einen Aufstand gegen die Garnison auslösen zu können. „Ich halte vor der Calás-Cafeteria und rufe die dort Kaffee trinkenden Bürger zur Rebellion auf, bitte sie um Unterstützung, aber niemand beachtet mich, sogar ein Fahrzeug mit Polizisten fährt vorbei, und die merken nicht einmal, daß wir die Angreifer sind, obwohl sie ein paar Blocks eine Schießerei mit unseren Kameraden hatten. (...) Wir hatten die patriotische Leidenschaft, aber es mangelte uns an Reife und minimalen militärischen Kenntnissen“, so García. „Castro sagte Jahre später, daß dies alles eine sehr verantwortungsvolle und intelligent vorbereitete Aufgabe gewesen sei, aber nichts davon stimmt – alles war komplett improvisiert“. So wurde in Santiago aufgrund fehlerhafter Pläne nicht das Waffenarsenal gestürmt, sondern der Friseursalon der Garnison.
Nicht einmal die berühmten drei Sätze, die Castro am Ende seines Schlußwortes vor dem Tribunal in Santiago äußerte, das ihn am 16. Oktober 1953 zu 15 Jahren Haft verurteilte – von denen er nur knapp zwei absitzt –, stimmen. Der berühmte Satz, die Geschichte werde ihn freisprechen, taucht erst auf, als Castro in der Haft seine Verteidigungsrede rekonstruiert, um sie publizieren zu lassen.
Mitkämpfer Castros landeten später jahrelang im Gefängnis
Fidel Castro hat nach der Eroberung der Macht 1959 zeit seines Lebens alles dafür getan, die Geschichte zu seinen Gunsten und der „unsterblichen Opfer“ der am Tag seiner Haftentlassung gegründeten „Bewegung 26. Juli“ (M-26-7) umzuschreiben. Die gescheiterten Angriffe auf die beiden Kasernen sind so „der Beginn eines Kampfes, der im Januar 1959 in einem Sieg gipfelte“. Die kubanische Opposition in den USA erinnert dagegen immer daran, daß von den 99 Rebellen, die die Angriffe auf die Kasernen überlebten, sich in den folgenden Jahren 27 von Fidel Castro distanzierten.
Wer aber die Führung des selbstherrlichen Revolutionsführers in Frage stellte, wanderte nach dessen Machtübernahme 1959 als „Schädling“ ins Gefängnis. Einer der ersten war Castro García, der 1955 ein Memorandum vorlegte, in dem er Fidel Castro zu dessen Verärgerung um eine kollegiale Führung bat, um die demokratischen Positionen der „26 de Julio“-Bewegung zu etablieren. 1961 wird er wegen Verschwörung gegen Castro zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er 17 absitzt. Ähnlich ergeht es auch Guerillaführer Huber Matos, Comandante der 9. Kolonne „Antonio Guiteras“, den Castro für zwanzig Jahre im Gefängnis verschwinden und von allen historischen Aufnahmen löschen läßt, sondern auch Mario Chanes de Armas, der nicht nur beim Sturm auf die Moncada-Kaserne dabei war, sondern auch bei der Landung der „Granma“ und anschließend beim Guerillakampf in den Bergen der Sierra Maestra. 1961 wird er zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt, die er wie Matos bis auf den letzten Tag absitzt.
Der Sturm auf die Moncada-Kaserne sei zum Glück gescheitert, so Fidel Castro später in einem Interview mit dem Herausgeber von Le Monde Diplomatique: „Ein Erfolg der Moncada-Aktion wäre zu früh gewesen. Damals lebte Stalin noch, und Stalin war nicht so geschmeidig wie Chruschtschow. Für uns war das Thema Sowjetunion nicht in unseren Köpfen, das kam erst später. Wir glaubten an die Souveränität und wollten, daß unsere Rechte respektiert werden.“
Und das Resümee, das der einstige Rebell Orlando Castro García als 90jähriger vor fünf Jahren zieht, lautet: „Die Castro-Revolution war eine Option, die uns aufgezwungen wurde und die zu einer ungeheuren Tragödie für das kubanische Volk geführt hat.“ Noch immer würden sich Castros Nachfahren an die Macht klammern und „diesen schmerzhaften Prozeß der Revolution bis ins Unendliche ausdehnen“.