© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/23 / 21. Juli 2023

Die Erfahrung von Weite und Abenteuer
Australien: Auf der Suche nach den ikonischen Stimmungsbildern des fünften Kontinents
Ludwig Witzani

Jeder sucht sein eigenes Australien, heißt es etwas nonchalant unter Australienreisenden. Das mag sein, aber fast alle streben zu den magischen Orten, an denen sich die Stimmung des Kontinents in ikonischen Bildern verdichtet –   etwa zur Great Ocean Road im Süden Melbournes, zum Ayers Rock oder zu den Whitsunday Islands mit den schönsten Stränden der Welt.  

Auf dem Weg dorthin beginnen die meisten Besucher ihre australische Reise in Sydney, einer pazifischen Weltstadt mit ausgeprägter Multikulturalität, die sich vom Multikulturalismus euro-päischer Prägung allerdings in einem sehr wesentlichen Punkt unterscheidet: Es herrscht öffentliche Ordnung, Sicherheit und eine strenge Sanktionierung gegen jedermann, der die Gesetze übertritt. Sydney ist aber nicht nur eine sichere, sondern auch eine städtebaulich ansprechende Stadt. Wie drei asynchrone, aufeinander bezogene Perspektiven ergeben die geöffneten Muschelschalen des Opernhauses, der Schwung der Wolkenkratzersilhouette von Downtown und die gigantische Wölbung,  in der die Harbour Bridge das Hafenbecken von Sydney überspannt, eine der schönsten Stadtansichten der Welt. 

Zu den großen australischen Reiseabenteuern gehört eine Autoreise von Melbourne über Syd-ney nach Queensland. Sie beginnt im Bundesstaat Victoria und führt über fünftausend Kilometer an Dünen- und Palmenstränden, Millionenstädten und Badeparadiesen, Plantagen und Archipelen vorbei bis in den hohen Norden nach Cape Tribulation, wo alle Straßen enden.

Panoramausblicke auf Traumstrände

Gleich zu Beginn begegnen dem Reisenden an der Great Ocean Road die „Twelve Apostles“, eine urweltlich anmutende Versammlung von bis zu achtzig Metern hohen Kalksteinfelsen, die sich unmittelbar vor der Küste erheben. Sie sind die Folge eines Millionen Jahre währenden Erosions- und Anbrandungsprozesses, bei dem das Meer die Küste regelrecht zerfetzte. Hier kämpfen nicht nur die Elemente, sondern auch die Dimensionen gegeneinander, denn gegenüber der Horizontalität des Ozeans wirkt die Vertikalität der kolossalen Felsen wie ein Widerspruch im Weltenplan. Aber es ist ein Widerspruch auf Zeit. Denn so prachtvoll sich die Felsen auch aus dem Meer erheben, in einer Million Jahren werden auch sie verschwunden sein. 

Jenseits der Great Ocean Road, zwischen Melbourne und Sydney, erstreckt sich das überwiegend europäische Australien, das Land der sanften Hügel und der ausgeprägten Jahreszeiten. Hier liegt Canberra, die Hauptstadt des Landes auf halber Strecke zwischen den beiden rivalisierenden Metropolen. 

Tausend Kilometer weiter beginnt hinter der Millionenstadt Brisbane in Queensland das tropi-sche Australien. Immer näher rücken die Ausläufer der Great Dividing Range, des großen Küstengebirges, an die Küstenstraße heran, und fast hinter jeder Abbiegung eröffnen sich Panoramausblicke auf Traumstrände an der Grenze zwischen Schönheit und Kitsch. Der berühmteste von ihnen ist der Whitehaven Beach auf den Whitsunday Islands, von dem seine Liebhaber behaupten, er sei der schönste Strand der Welt. Dergleichen Titel werden leicht vergeben, aber der Whitehaven Beach gehört ganz sicher in die allererste Kandidatenreihe. Sein Sand enthält einen Quarzanteil von 97 Prozent, was sein blendendes Weiß erklärt. Das Wasser ist klar und türkis im Seichten und kobaltblau, wo es tiefer wird. Je nach Wasserstand von Ebbe und Flut verändert sich die Verklammerung von Meer und Land, und damit seine Erscheinung. Sandige Schleifen, Girlanden, Brücken und Stege reichen weit ins flache Meer hinein, als wolle der Strand den Ozean umarmen. „So oft war ich schon an diesem Strand gewesen“, sagt ein Besucher, „aber nie habe ich das gleiche gesehen.“

Konfrontation mit einer menschenleeren Abgeschiedenheit

Je weiter die Reise nach Norden führt, desto näher rückt das Great Barrier Reef vor der pazifischen Küste. Mit einer Länge von 2.300 Kilometern ist das Great Barrier Reef die größte, jemals von Lebewesen erschaffene Struktur des Planeten, ein Ensemble aus etwa 3.400 unterscheidbaren Einzelriffen, in deren Biotopen Tausende unterschiedlicher Vogel- und Fischarten leben. Obwohl überall von der ökologischen Bedrohung des Riffs die Rede ist, dauert seine touristische Verwertung unvermindert an. Von jedem Küstenort Nordqueenslands aus starteten täglich die Ausflugsboote, um Touristen, mit Neoprenanzügen und Tauchausrüstung ausgestattet, einen Einblick in die Wunderwelt des großen Riffs zu ermöglichen. Dabei ist allerdings Vorsicht angesagt, denn so schön Australiens Strände und Küsten auch sein mögen, vor giftigen Quallen, tückischen Steinfischen, Haien und dem berüchtigten Salzwasserkrokodil sollte man sich tunlichst in acht nehmen.  

Eine ganz andere Facette erlebt der Reisende weit jenseits von Queensland im roten Herzen Australiens. Hier befindet sich, ziemlich genau in der Mitte des Kontinents, der Ayers Rock. Seit Jahrmillionen existiert der Ayers Rock als ein aus seiner Umgebung heraus erodierender Sedimentblock. Irgendwann einmal muß sich der gigantische Felsen im Zuge einer geologischen Faltung in der Erde gedreht haben, so daß er nun, einen erdgeschichtlichen Wimpernschlag später, im stolzen Alter von 600 Millionen Jahren wie ein Eisberg in der Senkrechten in der Erde steckt. Veränderlich wie seine Geschichte ist auch der Anblick des Riesenfelsen. Wie in alten Cinemascope-Filmen, in denen die Farben unnatürlich leuchten, so erscheint der Berg morgens in einem schrillen Rosa, ehe seine Farbe im Laufe des Tages in ein immer kraftvolleres Rot wechselt, bis der Uluru (so nennen die Aborigines den Ayers Rock) unmittelbar nach dem Sonnenuntergang einige Minuten lang wie ein blutroter Riese aus der Ebene ragt.

Nur eine Minderheit der Australienreisenden verschlägt es nach Westaustralien, und das mit einem gewissen Recht, denn die über 5.000 Kilometer lange  Tour von der Millionenstadt Perth über Broome am Indischen Ozean ins tropische Darwin in den Northern Territories repräsentiert eine „Australienreise für Fortgeschrittene“. Sie bietet nicht nur das Erlebnis von Felsenküsten, Schluchten  und endlosen Stränden, sondern auch die Konfrontation mit einer menschenleeren Abgeschiedenheit auf Hunderten von Kilometern. Früher sind die australischen Entdecker hier reihenweise verschollen, unter ihnen der deutschstämmige Forscher Ludwig Leichhardt, der 1848 in den Weiten der australischen Wüste einfach verschwand. Topfebene Landschaften, Büsche in endlosen Variationen und roter Sand, soweit das Auge reicht, wirken wie ein Exerzitium für die Erfahrung der absoluten Leere, wie man sie in dieser Intensität nirgendwo sonst erleben kann. 

Westaustralien und die Northern Territories sind auch die Teile des Kontinents, in denen der Reisende am ehesten den Ureinwohnern, den Aborigines, begegnet. Die Aborigines leben in kleinen Gemeinschaften weit ab der Durchgangsstraßen und zeigen sich nur selten an Tankstellen oder Campingplätzen. Etwas ganz und gar Unaggressives und Hilfsbedürftiges geht von ihnen aus, das dem Reisenden ans Herz greift. Sie gehören zu einem Volk, dem der angestammte Platz in der Welt genommen wurde, ohne daß sie einen neuen hätten finden können. 

Wie aber verhält es sich mit den Australiern, den „Aussies“, die manche für die beeindruckendste Attraktion des fünften Kontinents halten. Im Kontakt mit ihnen begegnet dem Reisenden eine Direktheit an der Grenze zur Nasenstüberei, aber auch eine ausgeprägte Hilfsbereitschaft als lebendiges Erbe einer Einwanderernation – und schließlich eine mitunter störrische Individualität, wie man sie im konformistischen Europa nur selten findet. So unterschiedlich sich diese Züge im einzelnen auch zeigen mögen – Australier sehen die Welt mit klarem, unverschleiertem Blick und wissen genau, wo sie stehen. Vielleicht ist das eine Eigenschaft, um die man Australien am meisten beneiden sollte.


Dr. Ludwig Witzani, Jahrgang 1950, Reiseschriftsteller, kennt Australien von mehreren ausgedehnten Reisen. http://ludwig-witzani.de


Ludwig Witzani: Australien. Drei Reisen zu den Antipoden (Weltreisen Bd. XV) epubli Verlag, Berlin 2023, broschiert,356 Seiten,16,95 Euro, auch als E-Book erhältlich