Die Küche ist die Seele des Hauses. Sie kann ein- oder zweizeilig, G-, L- oder U-förmig sein. Im Durchschnitt gönnt sich der Deutsche alle 20 Jahre eine neue Kochstube und gibt dafür rund 7.000 Euro aus. „Die besten Partys finden in der Küche statt“, so lautet eine bekannte Redewendung. Denn von jeher wurde in der Küche nicht nur gekocht. Sie ist der Mittelpunkt eines jeden Hauses, in dem alle Menschen Gemeinsamkeit, Familie, Freundschaft leben. Doch wie gestaltete sich die Entwicklung vom einfachen Lagerfeuerchen, zu einem der hochtechnisiertesten Räume unserer Zeit?
„Kommen Sie herein“, fordert Carl-Werner Möller Hof zum Berge den Besucher seines kleinen Küchenmuseums (World Of Kitchen Museum e.V. -WoK) in Hannover auf. Das Gebäude beherbergte früher eine Druckerei. Seit 2010 tischt Möller Hof zum Berge auf 1.400 Quadratmetern eine Art 12-Gänge-Menü auf: vom Mittelalter bis zur Neuzeit über Geschirr, Töpfe und ganze Küchenmöbel. Der 66jährige ist gelernter Koch. „Seit der Eröffnung des Museums habe ich hier schon über 30.000 Kindern das Kochen beigebracht. Es ist immer wieder eine Freude, wenn mittlerweile erwachsene Menschen auf mich zukommen und mich als ihren früheren Kochlehrer erkennen“, erzählt Möller Hof zum Berge mit strahlendem Blick. Insgesamt 45 Ehrenamtliche und zwei festangestellte Mitarbeiter sind in dem Museum beschäftigt.
Erste feste Kochstellen entstehen mit der Seßhaftigkeit des Menschen, um 8.000 v. Chr. In der griechischen Antike ab etwa 800 v. Chr. brutzeln die Spartaner und Athener im Hausinneren. Höher gestellte Hellenen leisten sich eigene Küchen, das Fußvolk ist auf öffentliche Kochplätze angewiesen. So handhaben es auch die Bewohner des antiken Roms.
Lassen wir die Pfauenzungen der dekadenten Römer uns nicht auf der Zunge zergehen und stecken wir direkt unsere Nase in die gute deutsche Schwarzküche des Mittelalters. Unsere Vorfahren kochen über offenem Feuer und ohne Abzug. Die Küche ist ein fensterloser Raum, Rauch und Ruß sammelt sich von der Decke bis zur halben Höhe und färben die Kochstube schwarz, daher kommt der Name. Der Kochtopf hängt an einer Kesselsäge über dem Feuer des Ziegelherdes. Die Schwarzküche bleibt im ländlichen Raum bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts in Benutzung. Das offene Feuer wird erst mit der Erfindung des Castrol-Herdes von Francois Cuvilliés im Jahr 1735 allmählich überwunden.
Die erste Einbauküche entwirft 1927 Margarete Lihotzky
„Die Küche ist der wärmste Ort des Hauses und wird dadurch erstmals zum Lebensmittelpunkt“, sagt Möller Hof zum Berge. Separate Essenräume existieren fast ausschließlich in Schlössern und Klöstern. Der Otto Normalverbraucher löffelt sein Süppchen nicht aus dem Blechnapf, sondern aus Holzgeschirr.
Nur Patrizier, der Adel und der Klerus können sich Tonschüsseln und Zinngefäße leisten. Auf der Speisekarte stehen zumeist Eintopf, Brei und Suppe aus einheimischen Gemüsearten wie Linsen, Kohl und Gurken. In den Genuß von Kartoffeln, Tomaten, Mais oder Paprika kommt der Europäer erst durch die Entdeckung Amerikas. Täglich Fleisch essen, davon kann der Bewohner des Mittelalters nur träumen.
„Grundsätzlich galt die Regel freitags Fisch, sonntags Fleisch“, erklärt der Museumsleiter. Diese Tradition bleibt bis ins 20. Jahrhundert bestehen. 2020 futterte der Deutsche im Durchschnitt 60 Kilogramm Fleisch im Jahr, errechnete die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Dies entspricht einer Tagesration von 164 Gramm, also ungefähr zwei Packungen Schinken aus dem örtlichen Supermarkt. Dabei sinkt der Konsum von Schweinefleisch um 370 Gramm pro Kopf und Jahr, während der Verbrauch von Rind um 130 und bei Geflügel um 190 Gramm zunimmt. Gleichzeitig steigt die Zahl der Vegetarier im Jahr 2022 auf acht Millionen, wie eine Umfrage des IfD Allensbach belegt.
Im 19. Jahrhundert kocht die deutsche Mamsell (Wirtschafterin) gerne mit der Küchenhexe. Der holzbetriebene Ofen bleibt noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts populär. Dabei erfindet Zachäus Andreas Winzler schon 1802 den Gasherd. Den Durchbruch seiner Erfindung erlebt er aber nicht, denn mangelnde Gasversorgung verzögert diesen um knapp 100 Jahre. In wärmegedämmten Kochkisten wird angekochtes Essen zum Weitergaren verstaut. Besonders in den Weltkriegen läßt sich so leicht Holz und Kohle einsparen.
Nahrung haltbar zu machen stellte die Hausfrauen vor immense Probleme. Zwar konnten Fleisch und Fisch gepökelt werden, Gemüse und Pilze getrocknet, doch andere Methoden gab es nicht. Für das Eigenheim gab es im Keller Kühlkammern, die stabil bei sechs Grad blieben.
Im Jahr 1810 entwickelt der britische Kaufmann Peter Durand die Konservendose und stellt damit die Eßkultur auf den Kopf. Nun ist die Nahrung nicht nur lange haltbar, sondern gleichzeitig leicht zu transportieren.
An Leitungswasser ist im 19. Jahrhundert noch nicht zu denken, und auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist es den gut betuchten Bürgern vorbehalten. Vom Stadtbrunnen aus trägt der Wasserträger die befüllten Eimer durch die Gassen und verkauft das Wasser an den Haustüren. Auch das Abwasser ist noch Zukunftsmusik. In der Küche findet die Körperpflege mit Hilfe einer Schüssel statt. Anschließend landet das benutzte Wasser einfach auf der Straße. Dies führt nicht selten zur Verbreitung von Krankheiten. So kommt es noch zum Ende des 19. Jahrhunderts zu stärkeren Cholerawellen. Im Jahr 1892 fallen allein in Hamburg mehr als 8.000 Menschen dieser Krankheit zum Opfer, schreibt Johannes Thomas in Unsere Heimat unter Verweis auf Das Elbeblatt und Anzeiger aus dem Jahr 1892.
Gegen tierische Diebe mußte sich die Mamsell ebenfalls wappnen. Gegen Ratten und Mäuse half die Katze. „Wenn die Buben allerdings mal eine Scheibe einschossen oder die Magd vergaß das Fenster zu schließen, war es dem Marder ein leichtes, in die Küche zu gelangen“, erzählt der Museumschef. Der flinke Räuber hatte es auf die Eier abgesehen. Spezielle Eierschränke verhinderten das Vorhaben.
Die strombetriebene Küche entsteht zwischen 1880 und 1890. Dies ist das Geburtsjahrzehnt der modernen Küchengeräte. Um 1900 tauchen die ersten Toaster und elektrischen Wasserkocher auf. 1929 stellt Miele den ersten elektrischen Geschirrspüler vor. Gottlob Widmann läßt sich 1954 die erste vollautomatische Kaffeemaschine, den Wi-Go-mat, patentieren. Auf der Messe in Köln wurde 1951 bereits die automatisierte Waschmaschine vorgestellt.
Im Zuge der Industrialisierung und des Männermangels nach dem Ersten Weltkrieg sorgt auch die Frau für den Lebensunterhalt. Unter Protest ist Margarete Lihotzky zwischen 1915 und 1919 die erste Frau, die an der Kunstgewerbeschule in Wien Architektur studiert. 1927 entwirft sie die Frankfurter Küche. Die Produktionskosten liegen bei 500 Reichsmark.
Die erste Einbauküche setzt neue Maßstäbe in puncto Effizienz und Hygiene. Auf 6,5 Quadratmetern findet alles Notwendige Platz. In die Schränke mit Schiebetüren passen Töpfe, Geschirr und ähnliches. Lebensmittel wie Mehl und Reis verstaut die Hausfrau in Aluminiumschütten. Gegen Fliegenkot helfen Schränke in hellblauer Farbe. Fliegen halten diese für den endlosen Himmel, der ihnen als Lebensraum ihrer Freßfeinde, der Vögel, zu gefährlich ist. Die fetten Brummer drehen ab. Die Flächen sind jetzt deutlich leichter zu reinigen. Eine verschiebbare Deckenlampe sowie ein Drehstuhl erleichtern die Arbeit zusätzlich. „Die Frankfurter Küche war eine Art Labor der Hausfrau“, erklärt der WoK-Chef.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird eine neue Generation an Einbauküchen verwendet. Anders als die Frankfurter Küche entwickelt sich die moderne Einbauküche wieder zum Lebensmittelpunkt im Haus. In den Wohngemeinschaften der 1970er Jahre hat jeder sein eigenes Schlafzimmer. Die Küche ist der Ort, an dem alle zusammenkommen. Küche und Eßzimmer fusionieren zur Wohnküche.
Bei genauerer Betrachtung der historischen Küchenkultur wird auch ihr Einfluß auf die deutsche Sprache deutlich. Das Sprichwort „Leg mal einen Zahn zu“, stammt nicht etwa von ungeduldigen Autofahrern oder gestreßten Kunden an der Supermarktkasse, sondern von hungrigen Bürgern des Mittelalters. Positioniert man den Kochtopf an der Kesselsäge einen Zahn nach unten, war dieser näher am Feuer und kochte schneller.
Irgendwann muß jeder einmal den Löffel abgeben
Während im Mittelalter Speck und Schinken an Seidenfäden befestigt von der Decke baumeln, steht auf dem Boden ein Topf, der die Fetttropfen aufsammelt. Wer sich durch die Küche bewegt, muß also aufpassen, nicht ins Fettnäpfchen zu treten. Die Seidenfäden werden im 19. Jahrhundert durch Wurstkronen ersetzt. Auf dem Metall finden Mäuse keinen Halt und Durchbeißen führt lediglich zu stumpfen Zähnen. Somit beißt die Maus da keinen Faden ab. Wer dann seinen Löffel an die Küchenwand hängte, um zu zeigen, daß er mit der lebenswichtigen Essenaufnahme fertig war, wußte nicht, wann auch er leider den Löffel abgeben mußte.
Ein Ausblick auf die Küche von morgen zeigt, unsere Kochstuben sollen nachhaltiger und smarter werden. Im Kühlschrank bleiben Lebensmittel in der „Ultra Fresh Zone+Schublade“ bis zu 15 Tage länger frisch. Neueste Geschirrspüler sollen durch sparsamen Wasserverbrauch, verbesserte Trocknung und eigene Dosierung des Waschpulvers überzeugen.
Nun sollen Küchen auch noch selbst denken. Backöfen haben voreingestellte Rezepte und in Induktionskochfeldern integrierte Dunstabzüge – Hauben gibt es nicht mehr – erkennen selbst, welche Leistung sie bringen müssen. Ähnlich wie bei Alexa von Amazon läßt sich mit dem „Smart Kitchen Dock2 von Siemens der gesamte vernetzte Haushalt steuern. Somit wird die Küche im digitalen Zeitalter vielleicht nicht mehr die Seele, aber das Hirn des Hauses sein.