Es klingt für viele bedrohlich: 30 Prozent der Feld-, Wald-, Wiesen- und Meeresflächen der EU sind laut Kommissionchefin Ursula von der Leyen und ihres sozialistischen Vize Frans Timmermans von der Denaturierung bedroht. 80 Prozent der Lebensräume seien in einem schlechten ökologischen Zustand – und dies nach sechs Jahrzehnten Gemeinsamer Agrarpolitik (GAP) mit alljährlichen zweistelligen Milliarden-Subventionen. All dies führe zu Dürren, Fluten, Waldbränden und quasi biblischen Plagen, so der durch ebenfalls keinerlei Fachxpertise qualifizierte 32jährige EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius.
„Wir müssen den ökologischen Fußabdruck unserer landwirtschaftlichen Systeme innerhalb und außerhalb der EU halbieren, um die planetarischen Grenzen nicht zu überfordern“, verlangte der Litauer schon 2020 auf dem von reichen Stiftungen und Staatsgeldern unterstützten „Journalistïnnen“- Portal RiffReporter.de. Während sich die Welt noch in der Corona-Hysterie befand, entwarf seine Generaldirektion ein Potpourri von Nutzungsverboten für Fischer, Land- und Forstwirte. Vernäßte Moore, Aufhebung von Flußbegradigungen, Wiederaufforstungen von Weideflächen, Verbot bei Pflanzenschutzmitteln und Tierhaltung, neuer Urwald und Zwangsbrachen – damit sollen bis 2050 90 Prozent der geschädigten Flächen „wiederhergestellt“ werden.
CDU/CSU, FDP, Freie Wähler und AfD gegen die „Klima-Allianz“
Viele der Nutzungsverbote in der EU-Verordnung über die Wiederherstellung der Natur (2022/0195/COD; Nature restoration law/NRL) laufen für Land- und Forstbesitzer auf eine faktische entschädigungslose Enteignung hinaus: Windrad- und Solarparks auf aufgeforsteten Almen, von Wolfsrudeln bewacht? Schon bis 2030 soll durch das EU-Paket „Fit for 55“ der Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Ausstoß von 1990 reduziert werden. Für die Befürworter geht es nur um die Wahl zwischen „Profit und Gier“ und der Natur. Wie Bauern, Fischer und Forstwirte künftig ihren Lebensunterhalt verdienen sollen, interessiert nicht. Auch das Argument der Nahrungsmittelsicherheit für die wachsenden Bevölkerungsmilliarden auf der Südhalbkugel zählt offerbar nicht mehr.
Der links-grün dominierte Umweltausschuß im Europaparlament (EP) stimmte dem NRL knapp zu. Der EP-Landwirtschaftsausschuß lehnte – mit Hilfe der zur „Bauernpartei“ mutierten Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP; mit CDU/CSU, ÖVP) und den zwei Rechtsfraktionen EKR (mit der italienischen Regierungspartei FdI und der polnischen PiS) und ID (AfD, FPÖ, Lega) – die NRL-Vorlage ab. Das Ganze geriet elf Monate vor der Europawahl am 6. Juni 2024 zum Machtkampf zwischen EVP-Chef Manfred Weber (CSU), der für die Zeit nach der Wahl an einem wahrscheinlich siegreichen Mitte-Rechts-Bündnis im EP bastelt, und Ursula von der Leyen (CDU), die weiterhin auf ihren links-grünen, deindustrialisierenden und schuldenfinanzierten „Green Deal“ setzt.
Von den 705 EP-Abgeordneten stimmten am 12. Juli in Straßburg nur 312 dafür, das NRL abzulehnen. 324 waren dagegen und zwölf enthielten sich. 57 meinten, es sei unnötig, überhaupt abzustimmen. Die Führungen von EVP, Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen (Renew) übten auf ihre Fraktionsmitglieder enormen Druck aus, auch entgegen ihres bisherigen Abstimmungsverhaltens in den Ausschüssen für die jeweilige Parteilinie zu stimmen. Dennoch votierten „grüne“ 15 EVP-Parlamentarier – fünf aus Irland, drei aus der Tschechei und einzelne aus Belgien, Finnland, Lettland, Litauen, Malta, Polen und der Slowakei – mit der „Klimamehrheit“, drei enthielten sich. Doch für EP-Verhältnisse, wo meist Grün-Links-S&D-Renew-EVP-Allianzen dominieren, war die Abstimmung trotz aller Agitation denkbar knapp: Neben der EVP und scherten auch 27 von 100 Renew-Mitglieder aus der „Klima-Allianz“ aus – darunter Ulrike Müller und Engin Eroğlu von den Freien Wählern und alle fünf von der FDP.
Letztendlich gab es dann für das leicht entschärfte NRL 336 Ja-Stimmen und nur 300 Nein-Stimmen bei 13 Enthaltungen. Dazu wurden einige Änderungsanträge durchgesetzt, die die künftige Gesetzeslage unübersichtlich und widersprüchlich machen. Statt der Rückgängigmachung von 25.000 Kilometern Flußbegradigung sollen es beispielsweise nur noch 20.000 Kilometer werden. Auch die aberwitzige Wiedervernässung von Mooren ist wieder zweifelhaft geworden. Und falls die Nahrungsmittelpreise um mehr als zehn Prozent steigen, können die Zwangsbrachen verschoben werden. Die „historisch“ definierten EU-Renaturierungsziele bleiben vage. Sind damit vielleicht die Sümpfe am Oberrhein zur Römer- und Germanenzeit gemeint? Die Umsetzung der geforderten Renaturierungspläne ab 2030 bleibt zudem in den Händen von nationalen und Länderregierungen.
Ohnehin landet die NRL-Entscheidungsfindung wieder bei den 27 Fachministern im EU-Ministerrat, die sich mit dem EP ins Benehmen setzen müssen. Die 27 Regierungen sind ähnlich uneins. Italien, Polen, Finnland, Ungarn haben deutliche Vorbehalte. Die niederländische Klima-Regierung ist am 7. Juli gefallen – hier ist in Umfragen die Bauern-Bürger-Bewegung (BBB)derzeit stärkste Kraft. Die spanische EU-Präsidentschaft unter dem Sozialisten Pedro Sánchez steht am 23. Juli vor einer krachenden Wahlniederlage. Die danach mögliche Rechtskoalition in Madrid ist vom NRL nicht begeistert. Auch in Berlin und Wien zeichnen sich regierungsinterne Streitereien ab.
„Die Streichung der Stillegungsverpflichtung über Landschaftselemente und die Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme ist als kleiner Lichtblick zwar zu begrüßen“, erklärte Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV). Dennoch bleibe der NRL-Vorschlag „mit seiner Ausrichtung auf Eingriffe und Beschränkungen der Erzeugung eine Belastung für die deutsche und europäische Landwirtschaft“. Er hoffe nun auf die Trilog-Verhandlungen zwischen EP, den EU-Mitgliedstaaten und der EU-Kommission. Von der Leyen, Timmermans und Sinkevičius werden die Reste des schikanösen Regelwerks und ihren übergeordneten „Green Deal“ dabei knallhart verteidigen. Aber nach den EP-Wahlen 2024 könnte sich vielleicht eine Wende abzeichnen.
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