Italiens rechte Regierungschefin Giorgia Meloni (Fratelli d‘Italia) ließ neulich aufhorchen, als sie dem Land eine „Einwanderungs-Kur“ verpaßte. In der vergangenen Woche beschloß ihr Kabinett, in den Jahren 2023 bis 2025 sollten insgesamt 452.000 Menschen aus dem Ausland eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis in Italien erhalten. Darüber hinaus wurde grünes Licht für eine zusätzliche Quote von 40.000 Genehmigungen für diejenigen gegeben, die bereits im März 2023 einen Antrag gestellt haben.
Damit handelt es sich um das größte Einwanderungsdekret in der italienischen Nachkriegsgeschichte. Dabei hatte die Rechtspolitikerin während des Wahlkampfs ein Ende der Massenmigration gefordert. Der Teufel liegt dabei sprichwörtlich im Detail. Nach wie vor kämpft die Mitte-Rechts-Regierung gegen die illegale Schlepperei auf den Meeren, die vor allem Italiens Süden betrifft.
Auf der anderen Seite haben in den vergangenen Monaten wiederholt Unternehmerverbände auf die Notwendigkeit legaler Migration hingewiesen. „Wir haben in Italien zwei Millionen unbesetzte Stellen, das ist nicht akzeptabel“, hatte Ministerpräsidentin Meloni noch Anfang Juli auf einer Versammlung mit norditalienischen Arbeitgebern gesagt, ohne allerdings die Einwanderung zu erwähnen. Zunächst hatte sie darauf gesetzt, die Leistungen von jugendlichen Arbeitslosen zu kürzen, doch viele Stellen blieben nach wie vor unbesetzt.
Nun also die Flucht nach vorne. Das hat vor allem demographische Gründe. Seit neun Jahren in Folge geht die Einwohnerzahl Italiens zurück. Ende 2022 lag sie bei nur noch 58,8 Millionen Menschen. Nach Berechnungen der Weltbank hat das Land bei der Fortsetzung des Trends im Jahr 2100 nur noch etwa halb so viele Bewohner wie heute. Und die Geburtenrate ist auf einen Tiefststand von 1861 gesunken.
Meloni hatte während des Wahlkampfs ein Familien-Programm angekündigt und die Menschen zum Kinderkriegen ermuntert. Doch ein Effekt auf den Arbeitsmarkt ist laut Experten frühestens in 25 Jahren zu erwarten. Ein Blick auf die Statistik zeigt, daß Italien immer noch unter einer Abwanderung von Süd nach Nord leidet.
Umfragen bestätigen Melonis politischen Kurs
In Italien befindet sich fast ein Fünftel der Bevölkerung von 15 bis 29 Jahren weder in der Ausbildung noch in Arbeit, und das vor allem im armen Süden. Dort fehlt es an Mitarbeitern im lebenswichtigen Tourismus, es mangelt an Pflegekräften und an Erntehelfern. Die sollen nun aus dem Ausland kommen. Doch um die eigene Klientel nicht zu sehr zu verschrecken, zieht Meloni an anderer Stelle die Zügel an. Unlängst tauschte sie sich am Rande eines Nato-Gipfels mit dem türkischen Staatschef Recep T. Erdoğan aus. Italien will demnach 30 Milliarden Euro in der Türkei investieren und verspricht sich davon Hilfe von Ankara beim Kampf gegen die Mittelmeer-Migration. Denn wenn auch einige Mitte-Rechts-Wähler Besorgnis über einen bevorstehenden „Bevölkerungsaustausch“ äußern, steht Melonis Dekret nicht im Widerspruch zu der Idee, eine reguläre Einwanderung zu fördern, die den Bedürfnissen italienischer Unternehmen entspricht.
Meloni fühlt sich angesichts von Umfragen, nach denen sie auf 30 Prozent der Stimmen käme, und aufgrund der guten Wirtschaftsdaten stärker denn je. Die Zahl der Touristen ist in diesem Jahr so hoch wie selten zuvor. Alleine, es fehlt an Beschäftigten. Die sollen nun aus dem Ausland kommen.