Es ist mal wieder heiß in Brüssel, Temperaturen um die dreißig Grad, gegen Nachmittag am Himmel schwere Wolken und hohe Luftfeuchtigkeit sorgen für eine Stimmung, die man aus Arthousefilmen über Südamerika kennt. Obwohl die Arbeitswoche in vollem Gang steht, ist der Place Luxemburg, der Platz vor dem EU-Parlament, gähnend leer. Gelangweilt lehnt mein Lieblingskellner am Eingang der Beer-Factory, dem größten Wasserloch für durstige Eurokraten am Ort, und putzt ein Bierglas.
Nichts ist los, das Parlament ist in seiner Plenarwoche in Straßburg, und wer in Brüssel bleiben mußte, hat sich ins klimatisierte Büro verkrochen. Gast und Kellner begrüßen sich, man kennt sich, man mag sich, aber für Smalltalk ist es auch zu heiß. Wortlos bringt der schwitzende Mann das kühle Naß an den Tisch, ebenfalls wortlos quittiert der Gast mit einem kurzen Nicken den Empfang, wischt sich den Schweiß von der Stirn und trinkt. Leben am Limit. Wer sich fragt, ob es auf dem Mars Leben gibt, der sollte Brüssel im Hitzesommer erleben. Hinzu kommt zu bestimmten Zeiten auch eine ganz besondere Belastung: Müllsäcke in verschiedenen Farben rotten in der Hitze vor sich hin. Besondere Vorsicht ist bei orangenen Säcken geboten, die sind für Küchenabfälle bestimmt und besonders explosiv. Des einen Freud ist des anderen Leid: Ratten, Katzen und in Parknähe auch Füchse freuen sich über vergorene Fleisch- und Käsereste und verursachen des Nachts blutige Revierkämpfe.
Die feuchtwarme Hitze erstickt alles, wie in einem zähen Fiebertraum zieht der restliche Tag vorbei.
Nein, es ist keine gute Reisezeit für die Hauptstadt unseres zerstrittenen Nachbarstaates, auch die belgische Küche leidet unter mangelnder Nachfrage, wer will schon Pommes und Eintopf, wenn der Asphalt von der Straße fließt? Mittlerweile ist das Bier getrunken, aber Lust auf mehr ist auch nicht da. Man zahlt (wortkarg), verabschiedet sich (wortkarg) und schleppt sich von Schatten zu Schatten in die heimischen vier Wände.
Auch dort herrscht brütende Hitze, die Frau wedelt sich matt Luft zu und wehrt den Begrüßungskuß ab: „Bleib mir weg! Zu warm!“ Die feuchtwarme Hitze erstickt alles. Wie in einem zähen Fiebertraum zieht der restliche Tag vorbei, doch eine Atempause naht: Immer dicker wallen die schwarzen Wolken am Himmel, plötzlich der erste Donnerschlag und eine kräftige Bö schüttelt den Baum im Hinterhof durch.
Auf Hagel folgt ein kräftiger Regenguß, eine kühle Brise und plötzlich leben Mensch und Tier auf. Alle Fensterwerden aufgerissen und fasziniert bestaunen Mann und Frau das Schauspiel im Hinterhof. Denn dort hat sich seit ein paar Jahren ein ganzer Schwarm tropischer Vögel – Papageien oder Wellensittiche, man ist sich uneins – von beachtlicher Größe niedergelassen. Brüssel, du kannst so häßlich sein – aber heute weht ein Hauch von Rio durch deine Gassen.