© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/23 / 21. Juli 2023

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Scholz demonstriert Gelassenheit
Paul Rosen

Einige Traditionen aus Bonner Zeit haben die Jahrzehnte und auch den Wechsel nach Berlin überdauert. Dazu gehört der sommerliche Besuch des Bundeskanzlers bei der Bundespressekonferenz, dem Zusammenschluß der Parlamentsjournalisten. Begründet wurde diese Tradition von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU). Seither traten alle seine Nachfolger vor den Parlamentskorrespondenten auf, von Ludwig Erhard bis Olaf Scholz.

Die erste Sommerpressekonferenz Adenauers, bei der der Kanzler massiv gegen eine deutsche Wiederbewaffnung Stellung nahm, dürfte am 23. August 1950 gewesen sein: „Der Bundesregierung, dem Bundestag und, wie ich glaube, der weit überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes liegt der Gedanke an die Wiedererrichtung einer deutschen Wehrmacht völlig fern.“ So ist es den Notizen des Reporters Max Schulze-Vorberg zu entnehmen. Übrigens wurden die ersten 101 Freiwilligen der Bundeswehr gut fünf Jahre später am 12. November 1955 vereidigt.

Um so entscheidende Weichenstellungen wie damals ging es bei der jüngsten Sommerpressekonferenz des amtierenden Bundeskanzlers nicht. Scholz kam zum zweiten Mal zum Sommertermin in den Saal der Pressekonferenz, dessen blaue Wand vielen Fernsehzuschauern geläufig sein dürfte, genauso wie es früher die mahagonivertäfelte Wand des Bonner Pressesaals war. Was es in Bonn aber noch nicht zu hören gab, war das Klingeln von Handys in Veranstaltungen. Und ein solch einsam klingelndes Handy gab Scholz die Gelegenheit, sich von der lustigen Seite zu zeigen, indem er sogar den Klingelton identifizierte: „Also wer seinen Klingelton auf Jingle-Bells eingestellt hat, der ist es.“ Der Hinweis des Regierungschefs war nützlich, denn dadurch wurde einem Fotografen klar, daß es ein Handy in seiner Tasche war, worauf er fluchtartig den Saal verließ. Der Kanzler scherzte erfreut: „Das ist jetzt kein Cyberangriff.“

Scholz demonstrierte Gelassenheit. Schon sein Auftreten ohne Krawatte mit geöffnetem oberstem Hemdknopf sollte Lockerheit demonstrieren – auch wenn sein Vortrag ohne jede Betonung in der Stimme nicht so richtig dazu passen wollte. Und die Lage seiner zerstrittenen Drei-Parteien-Regierung paßte auch nicht zum Auftreten. Aber Botschaften, wie er die Regierungsarbeit verbessern will, hatte der Kanzler nicht im Gepäck. Er lieferte dafür eine Prognose zur Zukunft der AfD ab, die derzeit in Umfragen bei 20 Prozent und damit knapp vor der Partei des Bundeskanzlers liegt. „Ich bin ganz zuversichtlich, daß die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht anders abschneiden wird als bei der letzten“, so der Kanzler. Das wären 10,3 Prozent für die AfD bei der Bundestagswahl 2025.

Scholz könnte bei einer Bemerkung Adenauers Trost finden, wenn sich seine Prognose als falsch herausstellen sollte: „Es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden.“ Oder verkürzt: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“