© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/23 / 21. Juli 2023

Wenn die Rutsche zum Boxring wird
Gewalt in Freibädern: Seit Jahren erhitzt das Thema die Gemüter. Wie sehen die Zahlen aus und wie reagiert die Politik?
Vincent Steinkohl

Samstag Nachmittag in der Hauptstadt: Ein hochgewachsener Polizist steht am Eingang des Sommerbades in Berlin-Pankow. „Wir haben Einlaßstop, heute kommt niemand mehr rein. Ja, egal, wie viele noch rausgehen. Fragen Sie mich nicht, ich hab’ die Regeln nicht gemacht“, erklärt er mit ruhiger Stimme dem Pulk junger Menschen, der sich daraufhin murrend auflöst und von dannen zieht.

Denn seit Samstag, dem 15. Juli, gelten in den Freibädern Berlins neue Regeln. Jeder Besucher muß sich künftig ausweisen, Minderjährige mit einem Schülerausweis, um das kalte Naß genießen zu können. Zudem soll mehr Sicherheitspersonal eingesetzt werden. Des Weiteren sind im Neuköllner Columbiabad und im Kreuzberger Prinzenbad – beides notorische Brennpunkte – mobile Polizei-wachen geplant, an den Eingängen sollen künftig Überwachungskameras platziert werden.

Im Berliner Columbiabad, das nach einer Massenschlägerei, einer Räumung durch die Polizei und massenhaften Krankmeldungen der Belegschaft tagelang geschlossen war, blieb es am ersten Wochenende mit den neuen Regeln ruhig. Anders am vergangenen Sonntag nachmittag im Prinzenbad: Nach Angaben der Polizei wollte ein 32jähriger einen Streit zwischen zwei 15jährigen schlichten. Einer der beiden 15jährigen habe ihm daraufhin ins Gesicht geschlagen. Als der Mann zu Boden ging, soll er daraufhin von zwei weiteren 

Badegästen geschlagen und getreten worden sein. Er kam ins Krankenhaus und wurde später entlassen. Ein Tatverdächtiger wurde noch vor Ort festgenommen. Nach Aufnahme seiner Personalien wurde er seiner Familie übergeben. Ein anderer konnte nachträglich 

identifiziert werden, vom dritten Angreifer fehlt jede Spur. Die Polizei machte keine weiteren Angaben zu den Verdächtigen.

Nicht nur in Berlin kommt es immer wieder zu derartigen Vorfällen, auch andere Regionen schreiben immer wieder traurige Schlagzeilen dieser Art. Doch werden Freibäder tatsächlich immer gefährlicher, oder wird in Zeiten von Mobiltelefonen, Internet und sozialen Medien die Wahrnehmung verzerrt? Das ist schwer zu beurteilen, denn eine bundesweite Statistik über Straftaten in Freibädern gibt es nicht, jedes Bundesland erhebt seine Daten anders.

In Berlin führt die Polizei eigenen Angaben zufolge keine Statistik über Straftaten in Freibädern. 2022 hat sie 57mal ein Freibad als Tatort eines Gewaltdelikts verzeichnet, 2019 – vor der Corona-Pandemie – passierte das 71mal.

In Baden-Württemberg zeigt der Trend in eine andere Richtung: 2022 sank die Zahl der in einem Freibad verübten Straftaten deutlich um 14,9 Prozent im Vergleich zu 2019. Allerdings stiegen 

Gewalttaten im selben Vergleichszeitraum um 25,8 Prozent an. Mehr als die Hälfte der Tatverdächtigen (204 von 386) waren Nichtdeutsche. Die größten Gruppen darunter waren Syrer und Türken.

Kanzler und Innenministerin 

widersprechen sich

Inzwischen ist das Thema Chefsache. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte bei einer Sommerpressekonferenz mit Blick auf die Situation in deutschen Bädern, es sei „völlig richtig, wenn daraus die Konsequenz gezogen wird, jetzt auch Polizei einzusetzen“. Seine Parteifreundin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, zeigte sich dagegen reservierter. Auf Nachfrage der Bild-Zeitung sagte sie: „Die konkreten Maßnahmen obliegen den Polizeien der Länder.“

Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) nahm die Polizei in die Pflicht. Bei „Gruppen von enthemmten Jugendlichen, bei weitem nicht nur mit Migrationshintergrund, aber auch mit Migrationshintergrund“, sollten Platzverweise und Betretungsverbote ausgesprochen werden. „Und das muß auch kontrolliert werden.“ Der neue CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ging noch weiter: „Wer mittags im Freibad Menschen angreift, muß abends vor dem Richter sitzen und abgeurteilt werden. Auch am Wochenende.“