Leise gleitet die „Schwaben“ durchs Gewässer. Kein Wellengang stört sie auf ihrem Weg von Konstanz nach Meersburg. Aber wer interessiert sich schon für Wellen angesichts des leuchtenden Farbenspiels, das der Bodensee den Passagieren der Fähre schenkt. Türkisblaue Wasserflächen. An den Ufern Palmen. In knalligen Farben leuchtende Blumen, die sich langsam entfernen, als die aufkommende weiße Gischt achtern Schiffs bewußt macht, daß die Fähre Fahrt aufnimmt.
Eine 18 Tonnen schwere, frivol gekleidete Dame schaut zum Abschied hinterher. Alle vier Minuten macht sie das. Dann, wenn die auf einem Rundtisch stehende Imperia ihre Drehung um 360 Grad vollendet hat. Jene skandalumwitterte Statue, die sich an der Hafenausfahrt der Universitätsstadt befindet und bei ihrer Errichtung 1993 heftigst umstritten war.
Mit ihrem tiefen Dekolleté und ihrer üppigen Oberweite fungiert die Dame als satirische Anspielung auf das Konstanzer Konzil zwischen 1414 und 1418. Die Kurtisane aus Honoré de Balzacs Roman „La belle Impéria“ diente als Vorlage für die neun Meter hohe Betonfigur. In ihren Anfangsjahren scharf attackiert, ist das Bauwerk heute Touristenattraktion, in dessen Sockel sich eine Pegelmeßstation befindet.
Auch die Wassertemperatur zeigt die Station an. 93 Grad steht da. Der Bodensee müßte jeden Moment zu kochen beginnen. Doch die digitale Anzeige korrigiert ihren Fehler, zeigt wenige Augenblicke später realistischere 22 Grad.
Die „Schwaben“ nimmt Kurs auf die Wirkungsstätte einer anderen Dame. Die Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff lebte von 1841 bis zu ihrem Tod 1848 auf Schloß Meersburg, dessen Turm auf dem See schon von weitem ins Auge sticht. Jene Burg, in der die Schriftstellerin damals eine Wohnung hatte, inklusive Turm, der auch 175 Jahre nach ihrem Tod erhalten ist. Noch heute ist sie bewohnt. Es ist ist die älteste bewohnte Burg Deutschlands. Und es ist der Ort, an dem Annette von Droste-Hülshoff 1842 ihr berühmtes Gedicht „Am Turme“ verfaßte:
„Ich steh’ auf hohem Balkone am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und lass’ gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare;
O wilder Geselle, o toller Fant,
Ich möchte dich kräftig umschlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
Auf Tod und Leben dann ringen!“
Doch von Sturm ist im Augenblick nichts zu spüren, als die „Schwaben“ in den Hafen von Meersburg einläuft. Auch nichts von Wellen, die „Sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch“, wie es weiter heißt. Und doch läßt sich erahnen, wie inspirierend der Ort für die Schriftstellerin gewirkt haben muß. Der verträumte Hafen. Die historischen Häuser am Ufer. Die atemberaubenden Weinhänge. Und über allem thronend die Burg, das Neue Schloß sowie der Reit- und Stallhof als barockes Postkarten-Panorama.
„Wenn Sie zum Schloß wollen, brauchen Sie nur die Treppe dort hinaufgehen“, gibt der „Schwaben“-Kapitän Auskunft. Aber: „Ich würde an Ihrer Stelle den längeren Weg durch die Unterstadt nehmen und dann hinauf in die Oberstadt. Da haben Sie mehr von.“
Der Mann hat nicht zuviel versprochen. Der Weg führt vorbei am schmucken Uhrenturm, an mit Fachwerk verzierten Häusern mit roten Rosen unter den Fenstern. Vorbei an Gaststätten, die mal „Drachenfeuer“, mal „Alemannen-Torkel“ heißen.
„Eintrittskarten gibt es gegenüber“, informiert der Kontrolleur am Burgeingang, zu dem man über eine Holzbrücke gelangt. Mit gegenüber ist ein Laden gemeint, der das Herz eines jeden Ritterfans höher schlagen läßt. Rüstungen in verschiedensten Formen und Größen. Schwerter und Schilde, Karten vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, Ritter-Tischfiguren und Hellebarden.
Mit Ticket geht es erneut zur Holzbrücke. Hin zur mächtigen Burgtür. Neben ihr ist ein Messingschild angebracht. „Auf der Meersburg bei ihrem Schwager Freiherr von Laßberg wohnte Deutschlands größte Dichterin Annette von Droste zu Hülshoff“, steht da. In der Burg geht es ritterlich weiter. Fahnen, Schilde, Schwerter und weitere Rüstungen.
Die Anfänge der Burg reichen bis ins siebte Jahrhundert zurück. Später kommt die Burg in den Besitz der Bischöfe von Konstanz.
Die größte private Sammlung zur Geschichte der Zeppeline
Weil sich die Stadt zu Beginn des 16. Jahrhunderts der Reformation anschließt, verlegt der Bischof seinen Sitz 1526 in die Meersburg. Bis zum Bau des Neuen Schlosses im Jahr 1750 dient die Burg dem Konstanzer Bischof als Wohnsitz. Ein Zeitraum, in dem die Meersburger Bevölkerung heftige Schicksalsschläge ereilen. Während des Dreißigjährigen Krieges wird ihre Stadt von Schweden und Württembergern geplündert. Zudem grassiert 1635 und 1646 gleich zweimal die Pest in der Stadt, die ihre Einwohnerzahl stark dezimiert.
1838 ist es der Schriftsteller Joseph von Laßberg, der die Meersburg erwirbt. Der Sammler mittelalterlicher Schriften rettet das geschichtsträchtige Anwesen vor seinem Verfall, zieht 1838 mit seiner Frau Jenny von Droste-Hülshoff, der Schwester Annettes, in die Burg. Sie wird Treffpunkt für Dichter und Gelehrte wie die Gebrüder Grimm, Justinus Kerner, Ignaz Heinrich von Wessenberg, Ludwig Uhland oder Karl Simrock. Und Wohnort von Annette von Droste-Hülshoff, die der Meersburg das Gedicht „Das alte Schloß“ widmete.
„Auf der Burg haus’ ich am Berge, unter mir der blaue See“ , heißt es da. Und tatsächlich ist es von hier ein Panoramablick über den Bodensee, der seinesgleichen sucht. Bei gutem Wetter tauchen in der Ferne, auf dem gegenüberliegenden Ufer und von der Abendsonne angestrahlt, sogar die weißen Gletscher der Schweizer Alpen auf.
Noch bis ins frühe 20. Jahrhundert dient die Burg als literarischer Treffpunkt. Selbst noch in den siebziger Jahren wohnt ein Nachkomme der von Droste-Hulshoff-Familie zeitweise dort. Und das nahe gelegene Internat trägt heute den Namen Von-Droste-Hülshoff-Gymnasium.
Zurück geht es wieder über die Holzbrücke. Keine 50 Meter weiter hängt ein Emaille-Schild mit dem Namen einer weiteren Berühmtheit vom Bodensee. Zeppelin. Populär geworden durch den Luftfahrtpionier Ferdinand Graf von Zeppelin, den Erfinder des zigarrenförmigen Luftschiffes. Und so ist es nicht verwunderlich, daß das Schild ebenfalls die Form eines Zeppelins hat.
Hier ist ein kleines Museum beheimatet, das Zeppelin-Museum. Doch befindet sich das nicht in Friedrichshafen? „Schon“, sagt die Museumsbetreuerin am Eingang. Aber es gebe eben zwei. Das große in Friedrichshafen und das kleine, privat geführte in Meersburg. Wobei „klein“ nicht der passende Ausdruck ist. Schließlich handelt es sich um die größte private Sammlung zur Geschichte der Zeppeline. „Hier sind all die Sachen ausgestellt, die es in Friedrichshafen so nicht zu sehen gibt“, erklärt die Bedienstete. Getragen wird die Sammlung vom Verein zur Förderung der Zeppelingeschichte. Dort mit dabei: der Urenkel des berühmten Luftschiffpioniers, Albrecht Graf von Brandenstein-Zeppelin.
Im Museum herrscht eine familiäre Atmosphäre, keine Massenabfertigung von Besuchern. Hier nimmt man sich die Zeit, um Interessierte über all die kleinen Geschichten und Anekdoten sowie über Einzelschicksale rund um die Zeppeline zu informieren. Die Museumsbetreuerin kennt viele dieser Geschichten. Etwa die von Werner Doehner, einem Passagier der „Hindenburg“. Doehner war mit an Bord gewesen, als das Luftschiff am 6. Mai 1937 in Lakehurst verunglückte. „Innerhalb von 32 Sekunden brannte alles ab“, erzählt sie. Werner Doehner wird gerettet. Sein Vater und seine Schwester schaffen es nicht mehr, lassen im Zeppelin ihr Leben. 63 Jahre später taucht der Überlebende im Meersburger Zeppelin-Museum auf.
„Er hatte uns hier besucht“, verrät die Betreuerin und kramt ein Buch hervor. Eines, in dem sich besondere Gäste mit Unterschrift eintragen. Am 6. Mai 2000 taucht darin auch Doehner auf. „Heute hatte ich endlich die Gelegenheit, Ihre ausgezeichnete Ausstellung über das Zeppelinwesen zu betrachten bzw. zu bewundern. Heute vor genau 63 Jahren war ich als jüngster Passagier an Bord der LZ-129 ‚Hindenburg‘ beim Unfall in Lakehurst“, schreibt er. Auch der einstige amerikanische Botschafter in Deutschland, Daniel Coats, hatte schon vorbeigeschaut.
In einer Ecke des Museums läuft auf einer Leinwand ein Schwarz-weiß-Film vom damaligen Unglück. Es ist der Live-Bericht eines amerikanischen Reporters von der Ankunft des Zeppelins. Damals, im Jahre 1937, ein Großereignis. Plötzlich fängt die riesige Außenhülle Feuer. Der Reporter schreit auf, spricht fassungslos und mit schluchzender Stimme weiter, ringt um Worte, bricht die Sätze ab. „Es ist so schrecklich“, bringt er nur noch konsterniert hervor.
20 Kilometer weiter östlich läßt sich dagegen nachempfinden, wie luxuriös die Passagiere der „Hindenburg“ einst gereist waren. Im Zeppelin-Museum von Friedrichshafen ist es möglich, in einem 33 Meter langen Nachbau der LZ-129 die originalgetreuen Einrichtungen für die damals Reisenden zu bestaunen. Platz und Komfort, die jede First-Class-Kabine heutiger Flugzeuge in den Schatten stellen. Eigene Schlafkabinen. Ein Speisesaal. Und ein Panoramablick nach draußen, der in nur 500 Metern Fahrthöhe unvergeßlich gewesen sein muß. „Alle Möbel sind genau wie damals“, versichert der Aufseher. Sogar die Einstiegsluke mit kleiner Treppe, die in den nachgebauten Zeppelin führt.
Wem der Nachbau nicht reicht, der kann sich seit 2001 von Friedrichshafen aus selbst mit dem neuen Zeppelin NT für einen Rundflug über den Bodensee in die Luft begeben. Immer wieder sind die zigarrenfömigen Gebilde über Deutschlands größtem Binnengewässer unterwegs. So auch über dem Hafen von Lindau, wo ein leises Surren sein Kommen ankündigt.
Das Luftschiff macht die Bilderbuch-Atmosphäre der auf einer Insel liegenden Altstadt noch perfekter. Der Leuchtturm an der Hafeneinfahrt, dem Wahrzeichen der Stadt, die Löwenfigur daneben. Die leise in die Hafeneinfahrt hineingleitenden Fähren der Bodensee-Schiffsbetriebe. Dazu der historische Mangturm und in der Ferne auf der österreichischen Seite des Sees das Alpenpanorama in der untergehenden Abendsonne. Eine Traumkulisse. Dazu die Palmen, die farbigen Blumen rund um den Hafen, das warme Klima und das mystisch schimmernde türkise Wasser des Sees. Mediterranes Flair in Deutschland. Ein Flair, das auch am anderen Ende des Sees auf sich aufmerksam macht. Auf der Insel Mainau. Seit 1974 befindet sie sich im Besitz der vom Grafen Lennart Bernadotte gegründeten gleichnamigen Stiftung. „Sie ist eine kokette alte Dame, diese Mainau, die stets und ständig große Aufmerksamkeit fordert, noch mehr Liebe und vor allem unaufhörlich neue Kleider“, hatte Lennart Bernadotte die Insel einst beschrieben.
Die Adelsfamilie ist eng mit ihr verbunden. Björn Graf Bernadotte wohnt dort noch heute. Die märchenhaften Gartenanlagen mit ihrer subtropischen und teilweise sogar tropischen Vegetation haben Mainau den Namen Blumeninsel eingebracht. Besonders beliebt bei den Besuchern: der Schmetterlingspark. Vor seinem Eingang stehen die Menschen Schlange. Auch eine Schulklasse ist darunter. „Wenn ihr stillhaltet und euch nicht bewegt, landen die Schmetterlinge auch auf eurem Körper“, kündigt ihre Lehrerin an. Tatsächlich zeigen die Falter keine Scheu. Einige von ihnen weisen die Größe einer Handfläche auf, während sie auf der Schulter von so manchem Besucher landen und ihre Flügel spreizen.
Herzstück der Anlage ist das vom badischen Großherzog Friedrich I. gegründete Arboretum auf dem oberen Teil der Insel. Eine Baumsammlung, die mehr als 500 verschiedene Laub- und Nadelhölzer beinhaltet. Darunter Riesenmammutbäume, deren Samen 1853 aus Kalifornien kamen. Heute sind sie die ältesten ihrer Art in Europa.
Über die Frühlingsallee geht es zu den Mediterran-Terrassen. Einem Meer von verschiedensten Blumen und exotischen Pflanzen. Daran anschließend die sogenannte italienische Blumen- und Wassertreppe. Wer bis jetzt noch nicht ins mediterrane Deutschland eingetaucht sein sollte, wird es spätestens hier tun, während der Blick hindurch zwischen Blumenkübeln hinunter auf den leuchtenden Bodensee schweift.
Viel zu früh drängt die Fähre zum Aufbruch. Zurück Richtung Konstanz, begrüßt von Imperia. Auch hier ist der Name Zeppelin allgegenwärtig. Es ist der Geburtsort des berühmten Grafen, der auf der Dominikanerinsel 1838 zur Welt kam. Einst gab das hier befindliche Dominikanerkloster der Insel ihren Namen. Heute ist daraus ein Hotel geworden, in dem der Zeppelin-Salon an die Geburt „in diesem Hause“ ebenso erinnert wie das von der Zeppelin-Familie dem Hotel überlassene Gemälde des Grafen.
Wieder ist ein leichtes Surren zu hören. Gang vom Salon auf die Hotelterrasse, den Blick gen Himmel gerichtet. Wieder einmal ein Luftschiff des am Bodensee allgegenwärtigen Zeppelin.
Fotos: Türkisblaue Wasserflächen: In den Ortschaften rund um den Bodensee harrt eine Menge Kultur der Entdeckung. Alte Burgen und Schlösser zählen genauso dazu wie das Erbe des Grafen Ferdinand von Zeppelin, dem Pionier des Luftschiffbaus. Im Konstanzer Hafen (links oben) trohnt die frivole „Imperia“ – eine Erinnerung an das Konzil in der Stadt zwischen 1414 und 1418. In Lindau hingegen (oben rechts) grüßt ein steinerner Löwe die Besucher. Die sechs Meter hohe Skulptur ist eine Reminiszenz an das Wappentier des Freistaats Bayern. Wer einen Blick über den Bodensee wirft, wird mit etwas Glück nicht nur mit dem lebendigen Farbenspiel von Gischt und Wellen belohnt, sondern auch mit der prächtigen Silhouette der Schweizer Alpen in weiter Ferne.
Pittoreske Kulisse: Die mittelalterlichen Gassen der Kleinstadt Meersburg laden dazu ein, umherzuschlendern, zu entdecken und sich in der Vergangenheit zu verlieren.
Zeppelins Geschöpfe in Aktion: Auch nach über 100 Jahren befahren die Luftschiffe noch den Himmel über dem Bodensee. In Meersburg erinnert ein kleines Museum an den Erfinder.
Mediterranes Deutschland: Wer es noch nicht kennt, wird in Lindau fündig. Dort lädt die italienisch anmutende Pflanzenwelt auf den Terrassen des von Großherzog Friedrich I. angelegten Kurparks zum Verweilen ein. Auch exotische Schmetterlinge lassen sich auf der Insel bewundern.