© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/23 / 21. Juli 2023

AfD und Demokratie
Autoritäre Phantasien
Thorsten Hinz

Von den Ankündigungen, die AfD durch harte, aber sachliche Auseinandersetzung zu pulverisieren, ist nichts geblieben. Die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache: Was haben die Altparteien, die die Grenzen offenhalten und im Gegenzug Freibäder schließen, denn Konstruktives vorzubringen? Es sind die Etablierten, nicht die AfD, die den öffentlichen Wettbewerb der Argumente zu fürchten haben.

Also wird weiter an der Hetz- und Hysterieschraube gedreht: Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer nennt sie „braunen Bodensatz“. Im Landtag bringt Katharina König-Preuss, migrationspolitische Sprecherin der Linken, den Entzug des passiven Wahlrechts durch vorgeschaltete Gesinnungsprüfung ins Spiel. SPD-Ex-Staatssekretärin Sawsan Chebli verkündet, AfD-Wähler mißbrauchten ihr aktives Wahlrecht – was die Frage intendiert, ob eine wehrhafte Demokratie solchen Mißbrauch nicht annullieren muß. Und Innenministerin Faeser träumt von Tabula rasa, vom Parteiverbot.

Die Wähler der AfD brauche man nicht zu „schonen“, denn wer für sie stimme, „hätte früher NSDAP gewählt“.

Die Etablierten befinden sich in einer Zwickmühle. Sie können den Bürgern kein vernünftiges Angebot machen, ohne ihre bisherige Politik und damit sich selbst zu delegitimieren. Die Polis, die Gemeinschaft freier Bürger, ist nach Aristoteles „entstanden um des Lebens willen – bestehend aber um des rechten und guten Lebens willen“. Doch das Parteienkartell läßt die Polis gar nicht erst zur Entfaltung kommen. Die arbeitenden Schichten werden als Milchkuh und Beutetier schikaniert, zu Stimmvieh degradiert und verhöhnt; sie sollen lernen, die Zumutungen als Einsicht in die von einer Minderheit definierten „Notwendigkeit“ zu bejahen. Das aber ist nicht das Verhalten von Demokraten, sondern von Oligarchen, unter denen zudem einige sind, denen man keine Bratwurst- oder Dönerbude anvertrauen würde – eine Oligarchie der Ochlokraten.

Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, und doch ist der Blick in die späte DDR erhellend, als SED und Blockparteien dem Volk nichts mehr zu bieten hatten. Der Zorn und die Verzweiflung über die Arroganz zerstörerischer Macht sammelten sich im Neuen  Forum, einer amorphen, heterogenen Bewegung, die zum Symbol des Widerstands und zeitweilig zum politischen Akteur wurde. Eine ähnliche Protestfunktion erfüllt die AfD.

Erneut wird die Sprache der Macht martialisch. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Josip Juratovic hat erklärt, man brauche die Wähler der AfD nicht zu „schonen“, denn wer heute für diese stimme, „hätte damals NSDAP gewählt“, und er kritisiert, daß niemand bereit sei, „für die Demokratie zu sterben“. Solche Aussagen könnten hysterisierte Postheroen animieren: natürlich nicht zum demokratischen Heldentod, doch zum Terror gegen die politische Restvernunft im Land.