Unterwegs in der Stadt. Gerade als ich ein Geschäft betreten will, höre ich jemanden meinen Namen rufen. Ich drehe mich um und sehe einen ehemaligen Kollegen vor mir stehen. „Mensch, wie geht es dir?“, will er wissen. Da es Jahre her ist, als wir uns das letzte Mal gesehen haben, schlage ich vor, einen Kaffee trinken zu gehen. „Leider habe ich keine Zeit. Heute steht einfach zu viel an.“
Einen Termin für ein baldiges Treffen zu finden, gestaltet sich als schwieriges Unterfangen. Und so tauschen wir wenigstens noch schnell die Telefonnummern aus und versichern, spätestens im kommenden Monat wieder voneinander zu hören.
Mit dem Gefühl, daß dies wahrscheinlich nie zustande kommen wird, ziehe ich weiter. Ein wenig bedrückt frage ich mich, ob wir vielleicht zu oft ein „gefülltes“ mit einem „erfüllten“ Leben verwechseln: Wir hetzen durch unseren Alltag, und unsere Tage sind vollkommen durchgeplant. In gewisser Weise eine ständige, aus Gewohnheiten zusammengesetzte Wiederholung.
Plötzlich empfinde ich Mitleid mit all jenen, die mit Handys, Terminen und Serien vor der Ruhe fliehen.
„Trödel nicht so, wir kommen noch zu spät!“, blafft eine junge Frau ihre kleine Tochter an. Direkt dahinter eilt ein Mann im Anzug durch die Fußgängerzone und flucht derbe Ausdrücke in sein Telefon. Als ich stehenbleibe, um kurz innezuhalten, werde ich unsanft von einem älteren Herrn angerempelt. Ohne ein Wort zu sagen, geht er zügig weiter.
Nachdenklich setze ich mich auf eine Bank. Während ich beobachte, wie all die Menschen hektisch an mir vorbeiziehen, überkommt mich auf einmal ein Gefühl von Mitleid. Mit all jenen, die so eingehend damit beschäftig sind, nicht zur Ruhe zu kommen. Die mit Terminen, Handys oder Fernsehserien vor ihr flüchten und sich dabei nicht bewußt sind, daß genau diese Ruhe eine wichtige Zutat ist, um das Leben letztlich zu einem „erfüllten“ Leben zu machen.
Jetzt fällt er mir wieder ein. Dieser wunderschöne, jedoch beinahe ausgestorbene Begriff, den ich früher einmal liebte: flanieren. Wie sehr genoß ich diese stundenlangen, ziellosen Spaziergänge durch die Stadt, die mein Denken öffneten. Von wegen ausgestorben, sage ich mir selbst und mache mich wieder auf den Weg. Diesmal ganz sicher nicht in Eile, sondern schlicht und einfach als Flaneur.