Die Bundesregierung plant ein Gesetz gegen „digitale Gewalt“. Was genau damit gemeint ist, scheinen die Architekten der neuen Regelungen allerdings selbst nicht so genau zu wissen. Bislang gibt es aus dem federführenden Bundesjustizministerium jedenfalls lediglich einige sehr schwammig gefaßte Eckpunkte mit der ebenso nebulös formulierten Zielsetzung, „Menschen, die von Drohungen und Beleidigungen im Internet betroffen sind, besser schützen zu können und sich der Verrohung in den Sozialen Netzwerken entgegenzustellen“.
Zahlreiche Verbände, Organisationen und Unternehmen, darunter der Deutsche Anwaltverein, der Deutsche Richterbund, der Chaos Computer Club, Amnesty International und von der Neuregelung explizit betroffene Unternehmen wie TikTok kritisieren diese Ungenauigkeiten. Einige befürchten gar einen Mißbrauch des geplanten Gesetzes zu unlauteren Zwecken. Neben der fehlenden Definition gegen wen und was man eigentlich künftig genau vorgehen will, fehlt vielen Kritikern auch eine klar erkennbare Abgrenzung gegenüber bereits existierenden Regelwerken vom deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz bis zum europäischen Digital Services Act, der momentan auf seine jeweilige Umsetzung in den EU-Staaten wartet (Seite 7). Der Digitalverband Bitkom warnt daher vor einer „Doppelregulierung“ und einem „deutschen Sonderweg“.
Ausweitung der Kontrolle auf Gaming-Plattformen
Die Diskussion um „Digitale Gewalt“ erinnert an die Debatte, die es vor einigen Jahren bei der sogenannten „Haßrede“ gab. Es geht im Grunde darum, wiederholt neue Begriffskreationen und Werkzeuge gegen Äußerungen und Ausdrucksformen zu schaffen, die zwar im Rahmen der Meinungsfreiheit nicht gegen längst bestehende Gesetze zu beispielsweise Volksverhetzung und Verleumdung verstoßen, aber den Mächtigen ein Dorn im Auge sind.
Grundsätzlich scheinen die meisten Kritiker des neuen Gesetzes mit weiteren Einschränkungen auch gar kein Problem zu haben. Selbst die nicht, die direkt betroffen sein könnten. Nur sollen die Eingriffe eben möglichst eindeutig sein.
So fordert die Organisation „Reporter ohne Grenzen“, die neuen Grenzen und „die verschiedenen Formen der digitalen Gewalt klar zu definieren“. Wie unterschiedlich die Einordnungen ausfallen, zeigen die Stellungnahmen aus Politik, Medien und Zivilgesellschaft seit der Veröffentlichung der Gesetzeseckpunkte Mitte April. Die Definitionen reichen von eben bereits verbotenen Beleidigungen und Bedrohungen über Stalking, Online-Mobbing und Bloßstellungen bis hin zu Witzen, die dem eigenen Humor- und Geschmacksverständnis widersprechen. Auch Identitätsdiebstahl fällt für einige darunter, genau wie die altbekannte „Haßrede“ – hier wird es endgültig doppelt schwammig. Für das Bundesjustizministerium unter Minister Marco Buschmann (FDP) gehören auch Verletzungen des Urheberrechts zur „digitalen Gewalt“.
Mit dem neuen Gesetz soll es künftig möglich sein, auf privatwirtschaftlichen Plattformen staatlich verordnete temporäre Accountsperren gegen potentielle Wiederholungstäter durchzusetzen. Während das staatlich geförderte Hans-Bredow-Institut sowie Amnesty International vor allem deren mangelnde Wirksamkeit bemängeln und mit neuen Ansätzen also auf eine härtere Gangart hoffen, erkennt zumindest der Chaos Computer Club, daß die Kontosperren eine „Strafe ohne Urteil“ bedeuten, durch die oftmals das „Online-Leben des Betroffenen de facto beendet“ werde. Die Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) hat damit wiederum kein Problem. So heißt es in einer offiziellen Erklärung der AAS: „Die Grundidee für mögliche Account-Sperren anonymer Profile ist lobenswert.“
Allerdings gehen die Maßnahmen der von der ehemaligen Stasi-IM Anetta Kahane gegründeten Organisation noch nicht weit genug. Ihrer Auffassung nach sollten die Sperren nicht nur gegen Nutzer verhängt werden, die wiederholt eine Person beleidigen, sondern auch gegen solche, die sehr viele Personen „strafrechtlich relevant“ beleidigen – aber genau dagegen existieren bereits Gesetze. Zudem würde die ASS den „Tätern“ gerne nicht nur ihre Konten in den sozialen Netzwerken dichtmachen, sondern auch auf Plattformen, „bei denen Accounts mit Spielständen oder Käufen verknüpft sind – wie etwa bei Gaming-Plattformen“. Wenn auch diese „unter das neue Gesetz fielen, könnte das eine erste gute Strategie gegen Hate Speech und digitale Gewalt auf Gaming-Plattformen sein“. Die Dopplung und Verzahnung der Begriffe und Einschränkungsmöglichkeit soll also nicht nur zusätzliche offizielle staatliche „Waffen“ gegen unliebsame Stimmen liefern, sondern auch den Agitationskreis auf weitere digitale Räume erweitern.