Gießen und Illerkirchen lassen güßen! Während eines Liederabends vor dem Gleimhaus in Halberstadt, benannt nach dem Balladendichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719–1803), rückt die Polizei an, um eine massiv störende Fachkraft, einen – wie die Volksstimme vermeldet – 25jährigen Eritreer mit „christlichen Wahnvorstellungen“ abzuführen, den zuvor schon einige Araber, die sich im Publikum befanden, zu bändigen versucht hatten. Der Störer war bis aufs äußerste erregt, da ein Sänger – an der Ostseite des Halberstädter Doms – geschlossene Schuhe getragen habe, Jesus hingegen Sandalen. Der selbstlose Einsatz der Araber hat ein Nachspiel: Am Folgetag sticht derselbe Eritreer in der Unterstadt, dem Dystopia von Petula Clarks „Downtown“, einen 20jährigen Syrer nieder, offenbar als Rache für die Vorstellung vom Vortag.
Als Abiturient der EOS „Bertolt Brecht“ 1989 ist mir eines klar: Die Figur des Mackie Messer aus der „Dreigroschenoper“ kann in der heutigen Zeit nur von einer Fachkraft aus den Jahren 2015ff. verkörpert werden, schon um dem Verfremdungskonzept von Brechts epischem Theaters gerecht zu werden. Auch das Max-Frisch-Diktum wäre neu zu formulieren: „Wir riefen Menschen, und es kamen Messerstecher.“ Dem Mitarbeiter des Gleimhauses, das sich „Museum der Aufklärung“ dünkt, versuche ich heimzuleuchten, als ich dekretiere, daß – gemäß geltendem Asylrecht (sichere Drittstaaten) und abgesehen von Flugreisenden – keine einzige dieser Fachkräfte je hätte ihren Fuß auf deutschen Boden setzen dürfen, also gar keine ZAST (Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber in Sachsen-Anhalt) existieren würde. So aber streunen die jungen Männer durch die Stadt, an ihren Handgelenken bunte Plastikarmbänder, wie in einem All-Inclusive-Urlaubsparadies.
Das Ristorante „Pinocchio“ ist ein Hort kultureller Aneignung, da hier kein einziger Italiener arbeitet.
Im Ristorante „Pinocchio“, einem Hort kultureller Aneignung, da hier kein einziger Italiener arbeitet, erfahre ich weiteres aus der Welt des Willkommenswahns: Ein Autohändler am Nachbartisch berichtet mir vom Wachmann der ZAST, der seinen Job verlor, nachdem er vorschriftsgemäß hochprozentigen Alkohol konfisziert hatte. Daraufhin protestierte eine Sozialbetreuerin, die sofortige Herausgabe des „Diebesguts“ verlangend. Prompt wurde der Wachmann entlassen. Inzwischen kippten die Asylanten – jetzt erst verstehe ich deren Verrichtungen vor dem Markt-Eingang – die Tetrapak-Fruchtsäfte auf dem Parkplatz in den Gulli, um dann den hochprozentigen Alkohol hineinzufüllen. Die Geschäftsfrau am Nachbartisch, die einen Laden betreibt, wo die Fachkräfte immer wieder als diebische Elstern auftreten, erzählt mir die inzwischen stadtbekannte Geschichte: Im Zentrum hatten die Asylanten vor ihren Augen vier blaue Müllsäcke mit all den mutmaßlich gestohlenen Klamotten aus den umliegenden Bekleidungsfilialen vollgestopft. Die herbeigerufene Polizei kam erst, als die Delinquenten die Müllsäcke schulterten, um dann direkt an den ihnen entgegeneilenden Polizeikräften vorbeizulaufen. Als die Geschäftsfrau die Polizei am Telefon damit konfrontierte, wurde ihr gedroht: Das sei üble Nachrede.