© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/23 / 14. Juli 2023

Vergangenheit und Zukunft in indianischer Kunst
Die Zeit als Spirale
(dg)

Um Entwicklungen voranzutreiben, da ist sich die Kulturwissenschaftlerin Birgit Däwes (Universität Flensburg) sicher, brauchen „wir Vorstellungen von den Zielen, die wir erreichen wollen“. Dazu gehören in Bildern ausgedrückte Begriffe von Zukunft. In westlich geprägten Kulturen konzentrieren sich diese Bilder seit 200 Jahren auf den „Fortschritt“, der von Technik und Wissenschaft erwartet wird. Solche eurozentrischen Zukunftsbilder „aufzubrechen“, war die Motivation für ihr bis 2022 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt „Wissen (über) Morgen 2.0: Indigen-Nordamerikanische Zukunftsarchive des 21. Jahrhunderts“, dessen Resultate Däwes jetzt in Kurzfassung vorlegt (DFG Jahresbericht 2022). Dafür hat die Amerikanistin Vorstellungen von „Zukunft“ untersucht, wie sie indianische Künstler heute in Literatur, Museen und digitalen Medien gestalten. Während die Überlebenden des Genozids, der die Indianer im 19. Jahrhundert durch weiße Massenmigration und Landnahme an den Rand der Ausrottung brachte, aus westlicher Sicht unwiderruflich der Vergangenheit angehören, erhebe indigene Kunst dagegen Einspruch. Ihr aus traumatischen Generationenerfahrungen gespeistes postapokalyptisches Lebensgefühl sei alltäglich präsent, so daß sich ihre Zukunftsbilder nicht ins lineare Fortschrittsschema fügen. Vielmehr dominieren bei ihnen Vorstellungen von Zeit als einer sich ringelnden Schlange oder Spirale. Diese brächten, wie die insoweit erstaunlich naive Däwes anregt, alternative Zeit-Begriffe ins Gespräch, die die „Debattenkultur einer Demokratie bereichern“ könnten. 


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