© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/23 / 14. Juli 2023

Die Generation Olaf Scholz kommt mit 800 Wörtern aus
Kleine Weltgeschichte der Sprachmacht
(dg)

Die dreizehn Autoren des Neuen Testaments begnügten sich mit 9.000 Wörtern. Jeder römische Autor vom Zuschnitt Ciceros verfügte über 20.000. Der von dieser Sprachkultur geprägte Pilatus, Roms Statthalter in Palästina, dürfte daher im Vergleich zu Jesus, erwägt Ulrich Holbein, aus einem doppelt so großen Wortschatz geschöpft haben als „Gottes Sohn“. Die Evolution brauchte, wie der von der Literaturkritik wegen seiner Sprachmacht neben Jean Paul und Arno Schmidt gestellte hessische „Öko-Dandy“ Holbein vorrechnet, 1.600 Jahre, um den „Highpoint Rom“ aufzustocken: Martin Luther brachte es auf 23.000, William Shakespeare auf 29.000 Wörter, bevor dann Goethe einen Himalaya von 93.000 Wörtern hervorwuchtete. Seitdem geht es rasant bergab. Theodor Storm lag mit 22.400 Wörtern bereits weit über dem Durchschnitt des 19. Jahrhunderts. James Joyce, dem man zutraute, das Steuer herumzureißen, landete mit seinem Epos „Ulysses“ (1922) bei 60.600 – „gigantisch, aber leider 30.000 weniger als Goethe“. Jedoch 59.000 mehr als heutige Akademiker, Lehrer, Journalisten. Goethe, in dessen Bibliothek 6.000 Bände standen, besaß also weitaus mehr Bücher als diese „Intellektuellen“ Wörter.  Womit für Holbein die Talsohle aber noch nicht erreicht ist, denn Politiker der Generation Olaf Scholz liegen heute mit 790 bis 877 Wörtern nur knapp über dem von George W. Bush junior mit 750 Wörtern markierten Tiefpunkt. Holbein schweigt darüber, was diese auch beim Gros der Wählerschaft (700 bis 740 Wörter) virulente Spracharmut über die Fähigkeit verrät, vernünftige Politik zu machen (Konkret, 7/2023). 


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