© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/23 / 14. Juli 2023

Die Angst steckt noch in den Knochen
Frankreich: Nach den sechstägigen Krawallen sucht die Politik nach Antworten und fürchtet neue Ausschreitungen
Wilfried Mortier

Nach dem Tod von Nahel, der in Nanterre von einem Polizisten erschossen wurde, präsentierte Innenminister Gérald Darmanin vor dem Senat die nackten Zahlen: 23.878 Brände auf öffentlichen Straßen (hauptsächlich Mülltonnen), 12.031 in Brand gesetzte Fahrzeuge, 2.508 in Brand gesetzte oder beschädigte Gebäude, darunter 273 Gebäude, die den Ordnungskräften gehören, 105 in Brand gesetzte oder beschädigte Rathäuser. 168 Schulen seien angegriffen worden, und es habe 17 Angriffe auf Abgeordnete gegeben. 45.000 Polizisten und Gendarmen seien auf den Straßen Frankreichs mobilisiert worden, von denen mehr als 800 verletzt worden seien.

Der Minister schätzte die Zahl der Festgenommenen auf „8.000 bis 12.000, vielleicht etwas mehr, vielleicht etwas weniger“, und rief parallel dazu auf, „nicht alle Bewohner von Arbeitervierteln in einen Topf zu werfen“. „Wir können nicht davon ausgehen, daß Hunderttausende von Menschen aus diesen Vierteln gegen die Republik rebelliert haben“, betonte er. Zudem hob er hervor, daß 60 Prozent von ihnen keine Vorstrafen hatten und im Durchschnitt „zwischen 17 und 18 Jahre alt“ waren.

Premierministerin Élisabeth Borne hofft auf friedliche 14.-Juli-Feiern  

Überhaupt, so Darmanin weiter, seien „weniger als zehn Prozent der Festgenommenen „Ausländer“, aber „90 Prozent Franzosen“ gewesen. Damit wies er die „identitätsbezogene Erklärung der Unruhen“ zurück, die eine Senatorin der Republikaner vorgebracht hatte. Seiner Meinung nach gab es auch „viele Kevins und Mathéos“ unter den Jugendlichen, die in der vergangenen Woche wegen Gewalt in Polizeigewahrsam genommen worden waren. Diese Worte sorgten für polemische Reaktionen auf der Rechten. Jordan Bardella, Vorsitzender des Rassemblement National, erklärte: „Ich will, daß französische Straftäter ins Gefängnis gehen und ausländische Straftäter fliegen. Wenn wir uns an dieses Prinzip halten, werden wir viel aufräumen!“ 

„Wir müssen über die sozialen Netzwerke nachdenken, über die Verbote, die wir verhängen müssen. Wenn die Dinge außer Kontrolle geraten, müssen wir in der Lage sein, sie zu regulieren oder abzuschalten“, hatte Präsident Emmanuel Macron bei einem Treffen mit Bürgermeistern erklärt. Dabei dachte er an Plattformen wie Snapchat, TikTok und den verschlüsselten Messengerdienst  Telegram und deren wichtige Rolle bei der Verbreitung von Bildern der nächtlichen Gewalt. „Wenn (soziale Medien) zu einem Werkzeug werden, um zu organisieren oder zu versuchen zu töten, ist das ein echtes Problem“, betonte Macron. 

Der konservative Politiker Olivier Marleix (Die Republikaner) zeigte sich daraufhin auf Twitter entsetzt: „Soziale Netzwerke abschneiden? Wie China, Iran oder Nordkorea? Auch wenn es eine Provokation ist, um die Aufmerksamkeit abzulenken, ist es sehr geschmacklos.“ „Eine Arbeitsgruppe soll nun mögliche „rechtliche Instrumente“ und „Präzisierungen“ prüfen, sagte Kabinettssprecher Olivier Véran. 

Anläßlich der Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag am 14. Juli schlug  Premierministerin Élisabeth Borne im Gespräch mit Le Parisien Alarm. Nach der Beruhigung der Krawalle seien die Abgeordneten und Einwohner über mögliche neue Zwischenfälle „tatsächlich ziemlich beunruhigt“. Die Regierung werde an diesem Tag „massive Mittel einsetzen, um die Franzosen zu schützen“. Vor diesem Hintergrund habe sie ein Dekret unterzeichnet, um den Verkauf, das Tragen und den Transport von Feuerwerkskörpern anläßlich des 14. Juli zu verbieten.