Als „Taschenträger des WEF“, „irgendwas mit Korruption“, „Nachfolger von Stoltenberg“, „Lehrer in Den Haag“ – so sehen Kommentatoren in den sozialen Medien das zukünftige Betätigungsfeld von Mark Rutte. Dieser hatte am Montag überraschend seinen endgültigen Abschied aus der Politik angekündigt. Er selbst war es, der in der vergangenen Woche sein Kabinett zu Fall gebracht hatte. Wohl wissend, daß seine Koalitionspartner, die linksliberale D66 ebenso wie die Christenunion niemals seiner Forderung, den Familiennachzug von Flüchtlingen zu verhindern, zustimmen würden, endete die Regierung Rutte IV. Endlich, denn bis zum Wochenende gab es noch Spekulationen, ob es sich bei seinem Rücktritt nur um einen guten Schachzug handeln könnte, um dann in gestärkter Position ein Kabinett Rutte V zu beginnen. Spätestens Ende November wird es Neuwahlen geben, dann ist die Ära Rutte endgültig vorbei.
Linke und rechte Parteien wittern bereits Morgenluft
Der längstamtierende Ministerpräsident der Niederlande hinterläßt sein Land in tiefer Verunsicherung. Galt die „Polderpolitik“ einst als liebevolle Umschreibung für das gelassene Nebeneinander von Politik und Gesellschaft, so hat Rutte es vor allem in den vergangenen Jahren seiner Amtszeit geschafft, dieses Vertrauen vollkommen zu erschüttern. Er kann sich nicht mehr daran erinnern, daß er selbst es war, der den ehemaligen Christdemokraten Pieter Omtzigt loswerden wollte. Dieser hatte die Kinderzuschlagsaffäre und damit einen der größten Skandale im Land aufgedeckt, eine Aufarbeitung steht noch aus. Denn die über 2.000 Kinder, die im Zuge dieser Affäre aus den Familien entfernt wurden, sind bis heute nicht wieder aufgetaucht.
Auch für die vielen Bewohner in der Provinz Groningen, deren Häuser durch den Gasabbau bis zur Unbewohnbarkeit beschädigt wurden, hatte er kein offenes Ohr. Den Bauern wurde von ihm im Namen einer selbstauferlegten „Stickstoffreduzierung“ erklärt, sie müßten sich der Hälfte ihres Viehbestands entledigen, andernfalls drohe die Zwangsenteignung. Am gravierendsten aber ist die unkontrollierte Einwanderung der vergangenen Jahre: Seit dem Amtsantritt Ruttes 2010 sind fast drei Millionen Asylsuchende und Flüchtlinge in das Land eingewandert. Mittlerweile gibt es Orte, an denen wegen der vielen Übergriffe Busse und Züge nicht mehr anhalten. Die Wohnungsnot ist so gravierend, daß viele Niederländer dauerhaft bei ihren Eltern wohnen bleiben müssen, Familiengründungen sind damit Fehlanzeige. Sozialwohnungen dienen in zahlreichen Ballungsgebieten nur noch Flüchtlingen.
Die Wahlen im November werden richtungsentscheidend sein. Schon frohlockt der Grüne Jesse Klaver, dessen Beliebtheit immerhin schrumpft, es werde einen starken Linksblock geben. Bereits im März trat seine Partei mit einer gemeinsamen Liste mit den Sozialdemokraten der PvdA an, nun steht die Parteifusion bevor. Die wachsende Armut der Bevölkerung – über eine Million Einwohner gelten als arm – sei die größte Herausforderung, Stickstoff- und Klimapolitik müßten dennoch moderat vorangetrieben werden.
Entscheidender werden die Stimmen für die konservativen und rechten Parteien sein. Caroline van der Plas von der Bauernbürgerbewegung (BBB) hatte bereits angekündigt, für eine Koalition mit den Liberalen zur Verfügung zu stehen, sofern Rutte kein Ministerpräsidentenamt mehr anstrebe. Ob von der BBB, die in den Umfragen momentan bei 18 Prozent liegt und damit gleichauf mit Ruttes VVD, tatsächlich ein Fanal für den Erhalt einer starken Landwirtschaft ausgehen wird, bleibt noch abzuwarten. Bislang möchte die BBB lediglich den Zeitplan für die Stickstoffreduzierung nach hinten verschieben.
„Wir sind bereit für Wahlen“, lautet das Credo von Geert Wilders (PVV), der mit zehn Prozent in den Umfragen gerade die drittstärkste Partei im Land darstellt. Die „linksliberalen Fehlentwicklungen“ müßten endlich beendet werden: Woke Verrücktheiten, die Unterordnung nationaler Interessen unter die EU, die geplante Enteignung der Bauern und die Zuwanderung von „Volksstämmen von Glückssuchern“. Wilders war 2010 Mehrheitsbeschaffer im ersten Kabinett Rutte, nun wolle er dafür sorgen, daß niemand mehr an seiner Partei vorbeikomme.
Kleinere rechte Parteien wie das Forum für Demokratie (FvD) und deren Abspaltung JA 21 dürften bei den kommenden Wahlen eine untergeordnete Rolle spielen, sie stehen zusammen bei acht Prozent. Unklar ist jedoch, ob Pieter Omtzigt sich traut, mit einer eigenen Liste anzutreten oder sich möglicherweise der BBB anschließt. Seine Beliebtheit ist ungebrochen, er könnte in den Niederlanden noch eine große Rolle spielen.