Die Bilanz von vier Tagen, an denen die mittelhessische Universitätsstadt Gießen zum Schauplatz fremder Konflikte wurde: 1.800 Kontrollen, 131 Festnahmen, 26 verletzte Polizisten. 1.500 Polizeibeamte aus mehreren Bundesländern konnten die befürchtete Eskalation nicht verhindern. Der Grund dafür ist das Eritrea-Festival, das am vergangenen Samstag begann und zwei Tage lang stattfand. Etwa 2.000 Besucher trafen auf rund 250 – teils aus dem Ausland angereiste – Gegendemonstranten, es kam zu Ausschreitungen.
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) forderte die Ampel-Regierung auf, den Botschafter des ostafrikanischen Staates einzubestellen. „Der eritreischen Regierung muß deutlich gemacht werden, daß eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen.“ Polizisten seien „nicht der Prellbock für Konflikte von Drittstaaten“. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) äußerte sich auf Twitter. „Die massive Gewalt und Randale gegen Polizeibeamte in Gießen verurteile ich scharf. Danke an alle Einsatzkräfte! Meine Gedanken sind bei den verletzten Beamten.“ Der stellvertretende AfD-Bundessprecher Stephan Brandner forderte: „Die Diktatur möge sich selbst in Eritrea feiern. So etwas hat in unserem Land nichts verloren.“ Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD) brachte ein Veranstaltungsverbot für das kommende Jahr ins Spiel und fragte mit Blick auf das vergangene Wochenende: „Stehen diese Einschränkungen noch im richtigen Verhältnis zu dem Wunsch des Veranstalters, ein Fest zu feiern?“
Eritrea gilt als „Nordkorea Afrikas“
Nach Polizeiangaben begannen die Krawalle am Samstag gegen 9 Uhr morgens. Flaschen und Steine seien von Demonstranten in Richtung der Polizei geworfen worden. Die Randalierer hätten gegen Autos getreten, vorbeifahrende Busse mit Gegenständen beworfen und Rauchbomben gezündet. Die Stadt Gießen wollte die Veranstaltung eigentlich unterbinden, da es bereits im Vorjahr zu Gewalt gekommen war. Gerichte kippten das Verbot jedoch in letzter Minute.
Die Polizei war seit langem auf das brisante Wochenende vorbereitet. „Wir wußten seit Wochen Bescheid und hatten genug Hinweise aus den sozialen Netzwerken und Foren“, sagte ein beteiligter Beamter der JUNGEN FREIHEIT.
Das Festival findet seit 2011 in Gießen statt. Veranstalter ist der Zentralrat der Eritreer, dem Kritiker unterstellen, Handlanger der Regierung zu sein. Hochrangige Generäle und regimetreue Musiker kommen jedes Jahr nach Hessen und zeichnen ein fröhliches Bild des gebeutelten Landes.
Denn Eritrea ist kein gewöhnlicher Staat, nicht umsonst nennt ihn die internationale Presse das „Nordkorea Afrikas“. Nach mehr als 30 Jahren Unabhängigkeitskrieg wird Eritrea, vormals äthiopische Provinz, 1993 unabhängig. Die marxistisch geprägte Eritreische Volksbefreiungsfront spielt dabei eine entscheidende Rolle. Ihr einstiger Kriegsheld und Generalsekretär Isayas Afewerki wird Präsident einer Übergangsregierung. 2023 ist er immer noch der höchste Mann im Staat, Wahlen gab es nie.
Länger in Deutschland lebende Eritreer sind tendenziell regimetreuer als die jüngeren.
Dementsprechend wahrscheinlich sind weitere Eskalationen dieser Art. Seit 2013 wuchs die eritreeische Bevölkerung in Deutschland von knapp 12.000 auf mehr als 74.000 Personen im Jahr 2023. Seit Jahren ist das Land an der Küste des Roten Meeres nach Marokko der Hauptherkunftsstaat für Asylbewerber aus Afrika.