© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/23 / 07. Juli 2023

Im Krisenmodus
Katholische Kirche: Die Zahl der Austritte erreicht eine Rekordhöhe
Gernot Facius

Die katholische Kirche in Deutschland steckt tief im Krisenmodus, und so schnell wird sich daran nichts ändern.  Insgesamt 522.821 Menschen haben sich im vergangenen Jahr von ihr verabschiedet – so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Das geht aus einer in der vorigen Woche veröffentlichten Statistik der Deutschen Bischofskonferenz hervor. Rechnet man Todesfälle mit hinzu, hat die Kirche 763.000 Mitglieder verloren. Nur noch 20,9 Millionen (24,8 Prozent der Bevölkerung) gehören ihr an. Da sind die 160.239 Eintritte durch Taufe, Übertritte oder Wiederaufnahme ein schwacher Trost.

Auf der evangelischen Seite sieht es rein zahlenmäßig etwas besser aus: ein Minus von 380.000 Personen. „Es ist nicht nur eine Kirchenkrise, es ist auch eine Glaubenskrise“, sagt der Religionssoziologe Detlef Pollack aus Münster. Von einem „quälenden Tod der Institution“ ist die Rede. Ein Ende der Abwärtsbewegung ist nicht in Sicht. Mißbrauchsfälle und die Dauerdebatte um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki verstärken den Negativtrend. Der Religionssoziologe Gert Pickel zeichnete im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur ein düsteres Bild. „Ich gehe davon aus, daß die Austrittszahlen ungefähr in dieser Höhe bleiben werden, und ich fürchte im Hinblick auf die katholische Kirche, daß wir uns noch höher bewegen werden.“ 

Ermittlungen gegen Woelki wegen Verdachts des Meineids

Pickel deutet es als „Besonderheit“, daß man zum ersten Mal feststellen könne, „daß auch Katholiken austreten, die religiös sind und es nicht mehr in der Kirche aushalten“. Häufig sei es so, daß bei Kirchenaustritten Protestanten und Katholiken „in einem Boot sitzen“. Das sei diesmal anders. Man habe einen deutlichen Überhang an Austritten aus der katholischen Kirche. Da könne man vermuten, daß der Mißbrauchsskandal eine Rolle spiele. Er vermute aber auch, so der Religionssoziologe, etwas anderes: eine Reaktion darauf, daß der sogenannte Synodale Weg, den die Deutsche Bischofskonferenz eingeschlagen hatte, so stark aus Rom (und seitens einiger deutscher Oberhirten) blockiert wurde. „Diese Blockade hat dazu geführt, daß sich gerade auch engagierte Katholiken gefragt haben, ob sich ihr Engagement dort und in der Kirche überhaupt noch lohnt.“

Ähnlich wie der Kirchenrechtler Thomas Schüler (Münster) ist Pickel der Meinung, daß die „Volkskirche“ alter Prägung „tatsächlich zum Aussterben verdammt ist“. Und er bringt noch einen anderen Aspekt in die Diskussion: „Wenn wir mittlerweile auf die Kirchenmitglieder schauen, stellen wir fest, daß ein Drittel sagt, daß sie nicht religiös sind. Diese Menschen, die engagiert, aber gar nicht so stark gläubig sind, hat man selten vor Augen, aber auch sie sind wichtig.“

Professor Albert Seul, ein Dominikaner im Bistum Trier, bringt sogar Verständnis dafür auf, daß Menschen aus der Mitte der Gesellschaft der Kirche den Rücken zuwenden: Angesichts der Großwetterlage in der Kirche mit der zögerlichen Aufarbeitung der Mißbrauchsfälle und der Diskussion um Kardinal Woelki könne er die Leute verstehen, wenn sie sagen: „Das ist nicht mehr mein Verein.“ 

Woelkis Kölner Erzbistum gilt seit zweieinhalb Jahren als katholischer Dauerkrisenherd: Verlust von 51.345 Mitgliedern, wie man der aktuellen Statistik entnehmen kann. Polizei und Staatsanwaltschaft durchsuchten am Dienstag voriger Woche  mehrere Räumlichkeiten des Erzbistums. Dabei seien neben schriftlichen Unterlagen auch Woelkis Handy und sein Laptop sichergestellt worden. In einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft Köln heißt es zu dem Vorgang, „zur Ver­meidung entsprechender Mißdeutungen werde „explizit darauf hingewiesen, daß dem Beschuldigten in keiner Weise die aktive oder auch nur passive Vertuschung von oder gar Beteiligung an Mißbrauchstaten zur Last gelegt wird“. Gegen Woelki wird wegen des Verdachts der falschen Versicherung an Eides Statt sowie des Meineids ermittelt.

Die Unschuldsvermutung gilt natürlich auch in seinem Fall. Und doch, so schrieb der Bonner General-Anzeiger, entfalten die Bilder von der Durchung ihre eigene Wirkung: Wie eine Vertreterin der Staatsanwaltschaft am 27. Juni um 8 Uhr hinter dem hohen Pfortengitter des Erzbischöflichen Hauses vor Woelki in Zivil steht. Der Kardinal sei nicht mehr zu halten, mutmaßte der Salzburger Fundamentaltheologe Gregor Maria Hoff: „Er ist das Gespenst eines katholischen Amtsnimbus, das noch am Lebensfaden päpstlicher Unentschiedenheit haftet, aber dessen Glaubwürdigkeit verspielt ist.“ Der Autoritätsverlust der katholischen Kirche werde mit der Kölner Razzia manifest: im öffentlichen Bewußtsein stehe sie als kriminelle Vereinigung da.

Die Hoffnung auf eine Wende ist trügerisch

Auch in den Bistümern Passau, Regensburg und Eichstätt, deren Oberhirten wie Woelki zu den schärfsten Kritikern des Synodalen Wegs gehören, sind die Austrittszahlen prozentual deutlich gestiegen. In Passau verließen 9.338 Menschen die Kirche, das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 63,7 Prozent. In Regensburg sind 23.868 Gläubige ausgetreten (ein Plus von 70,3 Prozent), in Eichstätt waren es 8.637 (69,5 Prozent). Das Erzbistum München-Freising, geleitet von Kardinal Reinhard Marx, liegt mit einer Austrittsquote von 3,14 Prozent in der Spitzengruppe.

Vermutlich ist ein Ende des Exodus noch nicht abzusehen. Vor allem Diözesen mit großen Städten melden besonders viele Austritte, während Bistümer mit einer eher ländlichen Struktur oder einem starken Diaspora-Milieu noch glimpflich davonkommen. Doch selbst positive „Spitzenreiter“ wie Görlitz und Erfurt haben zu kämpfen. Im kleinen Görlitz hat die Zahl der Austritte 2022 im Verhältnis zur Mitgliederzahl 2021 mit 1,42 Prozent erstmals die Prozentmarke übersprungen, in Erfurt liegt sie bei 1,72 Prozent. Deutschlandweit sind die Austritte „im Schnitt“ um 45,5 Prozent gestiegen.

Auch mit der aktuellen Kirchenstatistik sei die Hoffnung auf eine Wende trügerisch, rechnete ein Experte der Katholischen Nachrichten-Agentur vor. Alle kirchlichen Amtshandlungen, Sakramente und Beerdigungen seien hinter dem Jahr 2019 zurückgeblieben. Sie schrieben den seit Jahren negativen Trend fort. Nachholeffekte der Corona-Jahre bewirkten bestenfalls, daß der „Abstieg nicht ganz so stark ausfällt“. Vor allem scheine auch bei den Katholiken, die noch regelmäßig den Gottesdienst mitfeiern, keine wirkliche Wende in Sicht: Mit 5,7 Prozent Gottesdienstbesuchern stieg die Zahl zwar erstmals seit gut zehn Jahren wieder. Das bleibe aber immer noch selbst hinter dem Corona-Jahr 2020 zurück. Damals wurden trotz eingeschränkter Möglichkeiten, überhaupt Präsenz-Gottesdienste zu feiern, immerhin noch 5,9 Prozent verzeichnet.

Und nun kommt nach den jüngsten Erschütterungen in Diözesen wie Köln ein neues Problem hinzu. Die Frage, die man sich in den Bistumskanzleien und in den Medien stellt: Wann wird der Papst handeln? Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, verhehlt nicht ihre Enttäuschung über den Pontifex in Rom: „Erwartet hätten wir mit vielen Menschen gemeinsam seine Entscheidung im Interesse einer glaubwürdigen Kirche in Deutschland schon länger. Beschädigt ist die gesamte katholische Kirche.“ Und mit Blick auf das, wie sie sich ausdrückte, „neuerliche fatale Signal aus Köln“ folgerte Stetter-Karp: „Aufarbeitung gelingt nur, wenn Staatsanwaltschaften eingreifen.“

Das staatliche Recht, daran erinnerte der Kirchenrechtler Professor Norbert Lüdecke (Bonn), habe ohne Ansehen der Person zu gelten und Anwendung zu finden: „Man kann bezweifeln, ob das für Kirchenmänner immer so der Fall war. Vielleicht ist neu, daß bisherige Beißhemmungen des Staates ein Ende haben. Das wäre nicht mehr als richtig.“ 

Netzpräsenz der Deutschen Bischofskonferenz:

 www.dbk.de

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