© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/23 / 07. Juli 2023

Putin stiftet Ukrainern neue nationale Identität
Schwarzer Humor
(dg)

Der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 2022, ist nicht der erste Intellektuelle, dem auffällt, daß Krieg das Leben wohltuend vereinfachen kann, indem er das Wichtige vom Unwichtigen trennt. Was für den nach seinem Erfolgsroman „Die Erfindung des Jazz im Donbass“ (2014) im Westen oft als „Popliterat“ etikettierte Autor fortan künstlerisch den Verzicht auf die Inszenierung „opulenter Sprachspiele“ und privat die Geringschätzung von „teuren Klamotten und Statussymbolen jeder Art“ fordert. Diese neue Übersichtlichkeit, zu der Rußlands Krieg gegen die Ukraine erziehe, vollziehe sich aber vor allem im kollektiven Bewußtsein. Es klinge nach „schwarzem Humor“, aber Wladimir Putin habe mit seiner „Spezialoperation“ gegen ein Nachbarland gerade die nationale Identität gestiftet, die er für das ukrainische Volk von jeher in Abrede stellte. „Das Ukrainische, das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein“, so Zhadan, sei auch bei vielen Menschen geweckt worden, die sich bis 2022 nur mit ihrer Stadt oder Region verbunden glaubten. Heute würden selbst junge russischsprachige Ukrainer oder Juden aus seiner Heimatstadt Charkiw, unter denen eine „gewisse Loyalität“ gegenüber Rußland verbreitet war, einen „Prioritätenwechsel“ vollziehen. Insofern schaffe der Krieg die „neue Realität“ eines Patriotismus, der gerade in Deutschland „meist als rechts“ gelte. Das sei jedoch eine unsinnige politische Kategorie, wenn sich Ukrainer, die sich gestern noch als Kosmopoliten definierten, heute auf Tradition, Geschichte und Nation besinnen (Kulturaustausch, 1/2023). 


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