© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/23 / 30. Juni 2023

Vereinnahmung widerstehen
Die Geschichte des Volontariats
Florian Werner

Als ehemaliger Volontär der JUNGEN FREIHEIT ein Buch über die Geschichte des Volontariats zu rezensieren entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn während die umgangssprachlich einfach kurz „Volo“ genannte Vorschule des Journalismus selbst nur rund zwei Jahre dauert, hat die Entwicklung bis zu ihrer heutigen Gestalt mehr als hundert für sich in Anspruch genommen. In liebevoller Kleinarbeit seziert nun der Medienwissenschaftler Niklas Venema von der Universität Leipzig diesen Zeitraum in seiner Studie. Auf knapp 400 Seiten versucht Venema, die Geschichte des Journalistenhandwerks durch die Brille seiner Ausbildung zu erzählen. Dabei behandelt Venema diese in aller wissenschaftlichen Strenge. Der Quellenapparat ist einschüchternd mächtig, eine methodologische Vorbemerkung geht der historischen Abhandlung voran, diese selbst verschachtelt sich dann in zahlreiche Unterkapitel. Hier prallen zwei Welten aufeinander, die der Forschung und die der Berichterstattung. „Ein Journalist hätte das alles ganz anders geschrieben“, denkt sich der Rezensent da. Und wo bitte schön sind die Bilder!?

Dabei hält die Studie allerdings auch für den Praktiker bedeutsame Einsichten parat. Zum Beispiel die, daß das Volontariat seit seinen Anfängen im Deutschen Kaiserreich um 1870 von politischen Flügelkämpfen geprägt wurde. Nur langsam schälte sich der Journalismus als Handwerk aus seiner Vereinnahmung durch politische Interessen heraus. Dabei war es keineswegs selbstverständlich, daß sich diese ausgesprochen freie Form der Ausbildung durch alle historischen Umbrüche hindurch – vom Kaiserreich über die NS-Zeit bis zum wiedervereinigten Deutschland –  erhalten hat.

Fast schon amüsant wirkt da teilweise die im Buch immer wieder angedeutete politische Ratlosigkeit der unterschiedlichen Regime vor der Journalistenzunft, diesem wilden Haufen, der sich seinen Nachwuchs selbst heranziehen will. Staatliche Eingriffe wurden daher zumeist unterlaufen, dann verwässert und schließlich bald wieder rückgängig gemacht. Den Grund dafür bringt Venema selbst glänzend auf den Punkt: „Die Umweltbedingungen haben, trotz radikal unterschiedlicher politischer Rahmenbedingungen, zu keinem Zeitpunkt eine grundlegende Änderung oder Abschaffung des Volontariats als Kern der Journalistenausbildung erfordert.“ Die Annahme, daß nur der Journalismus selbst zum Journalisten befähige, konnte sich in jedem System Bahn brechen.

Aus dieser Warte betrachtet erzählt Venemas „Das Volontariat“ eine fast schon witzig zu nennende Geschichte, nämlich die eines ziemlich merkwürdigen Berufsstandes, der sich nicht reinreden läßt. Da freut man sich am Ende auch über die eigene Entscheidung, ein Volontariat gemacht zu haben.

Niklas Venema: Das Volontariat. Eine Geschichte des Journalismus als Auseinandersetzung um seine Ausbildung (1870–1990). Herbert von Halem Verlag, Köln 2023, broschiert, 505 Seiten, 39 Euro