© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/23 / 30. Juni 2023

Ehe als Sklavenhalter-Regime
Der wutschäumende Kampf der Feministin Emilia Roig gegen eine „patriarchale Institution“
Martin Voigt

Sie werden unterdrückt, müssen sich für Sexarbeit zur Verfügung halten und sollen ihren Peinigern dankbar zu Füßen liegen. Die Rede ist von verheirateten Frauen in westlichen Ländern. Die Gender-Aktivistin Emilia Roig läßt in ihrem Buch „Das Ende der Ehe – Für eine Revolution der Liebe“ keinen Zweifel daran, daß Ehefrauen, vor allem die anscheinend glücklich verheirateten, ein modernes Sklavendasein fristen. Die patriarchale Unterdrückung sei ein historisch gewachsenes und sozial tief verankertes System in allen Lebensbereichen, von der familiären Care-Arbeit bis zur Verhütungsfrage. Das „Spiegel Bestseller“-Pamphlet erfährt eine beispiellose PR-Kampagne, Süddeutsche und Co. feiern die Kampfansage an das verhaßte Patriarchat, den Abgesang auf das Eheversprechen, das Verschwinden einer heiligen Institution.

Roig erforscht Intersektionalität, also das Ineinandergreifen aller Arten von Diskriminierung. Eine schwarze Ehefrau etwa litte unter rassistischer, patriarchaler und sexistischer Gewalt. Falls sie sich nach der Überwindung ihrer Ehe als lesbisch oder gar trans outet, erklimmt sie den Olymp der diskriminierten Minderheiten. Roig bleibt nicht beim feministischen Lamento über „Ungleichheit und Unterdrückung“ von in ihren Ehen gefangenen Frauen stehen. „Um das Ende des Patriarchats einzuleiten“, müsse nicht nur die Ehe abgeschafft, sondern „das Diktat heterosexueller Paarbeziehungen“ beendet werden. Roig offenbart eine Denkwelt, die von einer tiefen Abneigung gegenüber Männern, glücklich verheirateten Frauen – sie sind in Wahrheit unglücklich und unterdrückt, erkennen das nur noch nicht – und Vater-Mutter-Kind-Familien geprägt ist.

Für die 40jährige geschiedene Politologin sind Männer, insbesondere Familienväter, eine eigene Kategorie Mensch. Die Familie sei der Ort, „an dem patriarchale Gewalt am häufigsten und massivsten ausgeübt wird“. In jeder Schulklasse säßen Mißbrauchsopfer, doch das patriarchale System schütze die männlichen Täter aus dem Kreise der Familie. Väter, die Frau und Kinder als ihren Besitz behandeln, sind Roigs Feindbild, und das lauert überall und nebenan – also bei Schmidts und Müllers? Eine Differenzierung, ob das Angeprangerte etwas häufiger hinter den Türen stattfindet, deren Klingelschilder fremde Namen tragen, ist nicht Roigs Anliegen. In einem Interview mit der Tageszeitung Welt wird sie gefragt: „Zwang und Abhängigkeiten gibt es vermehrt in außereuropäischen Gesellschaften oder auch im Islam. Weshalb die Konzentration auf den Westen?“ Roig lapidar: „Ich lebe hier und war hier verheiratet. Wir reden viel zu selten über das Patriarchat hierzulande.“ Über den anderen Teil der Welt könnten Frauen reden, die dafür besser ausgerüstet seien.

Wie gut sind Frauen „ausgerüstet“, die tatsächlich in frauenverachtenden Kulturen leben? Hätten sie nicht feministische Schützenhilfe aus dem Westen verdient? Geschenkt, man muß nicht mehr vor Ort sein, um fremde Sitten zu studieren. Gewaltdelikte gegen Frauen füllen die Statistiken, aus denen Roig gern zitiert, zuletzt immer stärker. Das Phänomen der Gruppenvergewaltigung ist gar ein neues. Roig geht es jedoch um das Strukturelle, um den archetypischen Täter, um den Mann an sich. Ihr Frauenbild faßt die Wahl-Berlinerin in einen Satz: „Viele Sexarbeiterinnen halten sich für freier als viele verheiratete Hausfrauen.“

Kommunistische „Communitys“ sollen Familien ersetzen

Das Patriarchat sei noch sehr lebendig, ist die  Aktivistin überzeugt, die zu den einflußreichsten Netzwerkerinnen verschiedenster, staatlich geförderter Gleichstellungs- und Anti-Diskriminierungs-NGOs zählt. „Da muß man nicht argumentieren.“ Starke Meinungen machen eben wissenschaftliche Evidenz überflüssig. Verallgemeinerungen, in zitierte Statistiken gekleidet („Viele Befragte gaben zu, sich nie so einsam gefühlt zu haben wie während der Ehe“), ersetzen Tiefenschärfe.

Roig beschreibt soziale Mißstände, doch deren Interpretation erstickt in feministischer Wut. Die Identifikation des ursächlichen Übels beschränkt sich auf den heterosexuellen, weißen Mann und versandet in kommunistischen Utopien moderner Ersatzfamilien von WG über Wahlfamilien bis zu „Communitys“, die über gemeinsame Werte und nicht aufgrund von Blutsverwandtschaft verbunden seien.

Was wirklich Zwietracht sät zwischen den Geschlechtern, was Familien und Ehen scheitern läßt, bleibt unklar. Ohne inneren Abstand wärmt die persönlich Betroffene das alte Motto feministischer Traktate wieder auf: Das Private ist politisch, und das nimmt sich Roig zu Herzen: Sie trägt ihr persönliches Scheitern in die Gesellschaft, angeblich ohne anderen Frauen die Ehe madig machen zu wollen. Sie reißt ihre eigenen Beziehungen an und echauffiert sich über die märchenhafte Vorstellung junger Mädchen, die auf ihren Traumprinzen warten. Das vorgefertigte romantische Skript bringe Frauen bei, sich über ihren Beziehungsstatus oder ihre Mutterrolle zu definieren, halte aber nur Einengung, Selbstaufgabe und Enttäuschung bereit. Die Sehnsucht nach der großen Liebe sei Kitsch aus dem 19. Jahrhundert.

Woraus resultieren Wut und Enttäuschung der jung entjungferten, von vielen Prinzen geküßten („Ich bezeichne Penetration als sozialen Zwang“) und in ihren späteren Ehen gescheiterten Frauen wirklich? Welches Selbst- und Männerbild entwickeln Frauen, die ab dem Teenageralter durch unzählige intime Beziehungen gegangen sind? Kulturelle Normen und ihre romantischen Skripte sind nicht das Problem, sondern feministische Ideen wie die „sexuelle Befreiung“ oder „freie Liebe“, die diesen Skripten zuwiderlaufen. Sie brachten weder Freiheit noch Liebe, sondern den Tod der Romantik.

Der in die Seele geschriebene Erfahrungsballast sexueller Intimität mit Vorgängern paßt weder zum Exklusivitätsanspruch der großen Liebe noch zum romantischen Ideal der Unberührtheit. Aus jener Welt, in der „jemanden daten“ und „Sex haben“ Synoyme sind, gibt es keine Wiederkehr in die Welt der Märchenprinzen. Begreiflich ist die Mißgunst der Gescheiterten, denn so ganz lassen sich tiefe Sehnsüchte auch in den mehrfach gebrochenen Herzen nicht ausmerzen. „Für eine Revolution der Liebe“, wählt Roig als Untertitel, und sie schreibt: „Verbindung entsteht, wenn beide sie wollen und eine Begegnung auf Augenhöhe möglich ist.“ Das perfekte Match wäre also zwischen einem romantischen Mädchen und ihrem tugendhaften Traumprinzen, oder zwischen einer emanzipierten Feministin und …? Dieses Märchen muß erst noch erfunden werden.

Emilia Roig: Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe. Feministische Impulse für die Abschaffung einer patriarchalen Institution. Ullstein Buchverlage, Berlin 2023, gebunden, 384 Seiten, 22,99 Euro