Die Familie im traditionellen Sinn ist neben dem Privateigentum die stärkste Sicherung gegen staatliche Allmacht. Sie ist biologisch und kulturell die Zentralinstitution einer jeden freien Gesellschaft. Darum steht sie auch seit langem unter dem Dauerfeuer kollektivistischer Ideologien, auch in „bürgerlicher“ Variante. Der Angriff auf sie ist umfassend und berührt ihr Selbstverständnis, ihr Prestige, ihre Exklusivität, dazu ihre Kernfunktionen als wirtschaftlich selbständige Einheit, als wichtigste Erziehungs- und Bildungsinstitution, als primäre soziale Selbsthilfeeinrichtung, und zuvorderst als Ort biologischer Reproduktion.
Hier findet sich eine schwer kontrollierbare intime private Einheit, eine Quelle der sozialen Ungleichheit, des Widerstandes und autonomer Glaubens- sowie Sittenbildung. Darum ist sie der stärkste Gegner aller Kollektivismen, da sie wie auch das Privateigentum Ungleichheit konserviert, namentlich die Ungleichheit der „Startchancen“. Ihre anziehende Kleingruppenethik der gegenseitigen Liebe und des freien solidarischen Teilens versuchen die Vertreter des staatlichen Kollektivismus, namentlich des Sozialismus für die anonyme Gesamtgesellschaft zu usurpieren – als „Solidarität“ oder „soziale Gerechtigkeit“. Aber Liebe und Solidarität lassen sich nicht anonymisieren, nicht erzwingen, ohne ihren inneren Wert zu verlieren.
Die Einschränkung der familiären Selbstbestimmung beginnt historisch mit dem staatlichen Schulzwang im Elementarbereich – jenem „Abnahmezwang für staatliche Bildungsgüter“, der eine weitreichende Einflußnahme des Staates auf die Erziehung und geistige Prägung der Kinder ermöglicht. Exklusiver häuslicher Privatunterricht ist in Deutschland seit 1938 verboten. Viele andere westliche Länder erlauben das. Privatschulen sind eher eine erfreulicherweise wachsende Randerscheinung und jedenfalls staatlich reguliert. Im Interesse einer utopischen „Chancengleichheit“ sind heute auch die Kosten der Bildungseinrichtungen sozialisiert: keine Schulgelder, dann auch keine Universitätsgebühren, Kolleggelder mehr, nicht etwa nur für „Bedürftige“, sondern für alle. Ein Geschenk an die nicht unterstützungsbedürftige Mittel- und Oberklasse (adverse Umverteilung) und Ursache einer gewaltigen Fehllenkung von Ressourcen.
Im Rahmen einer sogenannten Familienpolitik in bürgerlicher Variante werden auch zunehmend die allgemeinen Kosten der Familie unabhängig von Bedürftigkeit auf den Staat abgewälzt: Kindergeld, ebenso vom Nationalsozialismus erfunden, gibt es schon vom ersten Kind an, Erziehungsgeld oder Elterngeld, selbst Baukindergeld, „Mütterrenten“ usw. kommen obendrauf. Die Eltern avancieren hier zu staatlich finanzierten Reproduktionsfunktionären. Demnächst soll es eine darüber noch hinausgehende „Kindergrundsicherung“ nebst originären „Kindergrundrechten“ jenseits der Elternverantwortung geben. Der Staat greift hier direkt auf die Kinder durch.Er zerlegt die familiäre Gemeinschaft.
Läßt diese Fremdfinanzierung von Familienkosten zunächst noch andere Familienfunktionen wie Betreuung und Erziehung der Kinder weitgehend intakt, so greift die flächendeckende Einrichtung von meist staatlich finanzierten Familienersatzeinrichtungen wie Kinderkrippen, Kindertagesstätten, Ganztagsschulen tief in die natürliche elterliche Zuständigkeit ein. Zunächst noch ohne Nutzungszwang, jedoch seit 2013 im Fall des Kitaplatzes mit Rechtsanspruch. Die Eltern delegieren hier – von materiellen Anreizen und Bequemlichkeit verleitet – ihr Urrecht an der Erziehung und geistigen Prägung ihrer Kinder weitgehend auf die staatlichen Behörden. Private Eigeninitiativen werden kaum mehr erwartet. Auch der Privatmarkt für Kinderbetreuung ist nur bescheiden entwickelt.
Seit der Einführung von Bismarcks Arbeiterversicherung wird auch eine weitere Urfunktion der Familie verstaatlicht: die gegenseitige wirtschaftliche und soziale Hilfe in den allgemeinen Risiken des Lebens wie Alter, Krankheit und Unfall. Diese Risiken hätten sich auch über Privatversicherungen, Genossenschaftskassen und individuelle Vermögensbildung abdecken lassen, aber das wollte Bismarck nicht: er wollte , wie er offen aussprach, die Arbeiter über Rentenzahlungen in die Staatsabhängigkeit bringen – er sprach von „bestechen“ – und damit die Sozialdemokratie ausstechen.
Heute handelt es sich hier um eine umfassende Volksversorgung, ein weiterer schwerwiegender Verstoß gegen das liberale Subsidiaritätsprinzip und gegen den natürlichen Generationenvertrag der freie gegenseitige Hilfe umfaßt. Der Generationenvertrag auf nationaler Basis ist eine Phrase. Wer hat je diesen „Vertrag“ abgeschlossen? Auch eine ausufernde staatliche Fürsorge in Notlagen – jetzt hochtrabend „Bürgergeld“ genannt – schwächt die familiäre Selbsthilfe und Zuständigkeit.
Der Angriff geht aber noch weiter: so wurde der traditionelle Familien- wie sogar der Ehebegriff bis zur Unkenntlichkeit erweitert und damit entleert. Die Politik spricht jetzt diffus von beliebiger „Verantwortungsgemeinschaft“. Scheidungen wurden in unbilliger Weise erleichtert, „Alleinerziehung“ ebenso massiv subventioniert wie Abtreibungen, die aktuell über hunderttausend pro Jahr in Deutschland durcggeführt werden.
Ein besonderes Ärgernis ist die Subventionierung der Kinderlosigkeit über die Rentenversicherung: Familien mit Kindern finanzieren dank des Umlagesystems die Renten, und damit den ungeschmälerten Konsum der Kinderlosen. Haben wir schon über die Abwertung der Mutterrolle, die verkrampfte Egalisierung der Geschlechterrollen gesprochen? Die von einigen gewünschte Abschaffung der Ausdrücke Vater und Mutter, was wie in Huxleys „Schöner neuer Welt“ anmutet? Oder über die freie Wahl des Geschlechts ab 14 Jahren? Das Schlagwort hier: „sexuelle Selbstbestimmung“. Damit wird endgültig ein soziales Narrenhaus betreten.
Die Institution Familie als Grundlage einer freien Gesellschaft wird von vielen Seiten her geschwächt und verstümmelt. Muß man sich da wundern, daß Deutschland wie andere ausgebaute egalitäre Wohlfahrtstaaten eine negative demographische Bilanz – Stichwort: „von der Pyramide zur Urne“ – aufweist?
Wenn das Ziel der offiziellen Familienpolitik eine Förderung der Familie sein soll, so ist sie katastrophal gescheitert, zu Tode „gefördert“. Zusätzliche Umverteilungen – die Totalverstaatlichung von Kosten und Funktionen derzeit schon über 50 Prozent – werden den demographischen Niedergang nur noch beschleunigen. Die einzigen Heilmittel sind die Rückgabe von Prestige, Verantwortlichkeit und Mittel an die Familien, eine umfassende, soziale Reprivatisierung, auch im Sinne von „Mehr Netto“ und mehr Marktwirtschaft. Hinzu kommen müssen umfassende Reformen der sozialen Sicherung beispielsweise durch eine Kapitaldeckung der Rente und des Bildungswesens, auch im Sinne von mehr Privatschulen, mehr Wettbewerb und Nutzerfinanzierung.
Der fortgesetzte Massenimport oder die geduldete Einwanderung von ungenügend ausgebildeten Fremden wird unsere selbstgeschaffenen Probleme so wenig lösen wie im Weströmischen Reich, das den eindringenden oder sogar eingeladenen Fremden und einer terroristischen Besteuerung zum Opfer fiel (JF 7/23).
Mut macht, daß echte Liberale und Konservative die Natur der Dinge und die Sachlogik der Ökonomie auf ihrer Seite haben. Das Realitätsprinzip wird sich gegen alle konstruktivistischen Utopien und Gleichheitsschimären durchsetzen. Die Frage ist nur, wie hoch der Preis bis dahin sein wird. Und wie lange wir leiden und dadurch lernen müssen.
Daß auch und gerade Demokratien lern- und reformfähig sind, zeigen die vielen Beispiele geglückter Wirtschafts-und Sozialreformen der letzten Jahrzehnte, so in Großbritannien, in Schweden, in den USA und besonders imponierend in Neuseeland. Obwohl sie nicht alle Ziele erreichten und inzwischen sogar wieder in die falsche Richtung abgewandelt wurden, zeigen sie doch, daß wachsender Problemdruck wie durch Inflation, Staatsverschuldung und langsame Verarmung auch zum Problemlöser werden kann, wenn sich eine couragierte und inspirierte politische Führung bereit findet, das Notwendige auszusprechen und gegen allen Widerstand durchzuziehen. Gewiß ist Politik die „Kunst des Möglichen“, gute und große Politik ist aber die Kunst, das sachlich Notwendige möglich zu machen.
Prof. Dr. Gerd Habermann, Jahrgang 1945, lehrt seit 2003 als Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. Habermann initiierte die Friedrich-August von-Hayek-Gesellschaft. Er veröffentlichte jüngst das Buch „Freiheit in Deutschland. Geschichte und Gegenwart“ (2021).