Was kann Journalismus tun, um Spaltung zu verhindern oder zu verringern? Diese Frage stellte nicht nur Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle, während seiner Eröffnungsrede auf dem diesjährigen Global Media Forum vergangene Woche. „Overcoming Divisions“ („Spaltungen überwinden“) lautete das Motto im 15. Jubiläumsjahr. Und davon gibt es viele: Angefangen bei der Hysterie der Klimakleber bis hin zum Rußland-Ukraine-Konflikt durchzieht die Gesellschaft mittlerweile tiefe Gräben. Über 2.000 Teilnehmer aus Journalismus, Politik und Gesellschaft kamen daher im alten Bonner Bundestag zusammen, um gemeinsam der Frage Limbourgs nachzugehen.
Neben dem traditionellen Fokus auf die Entwicklungen im globalen Süden thematisierte das Forum auch künstliche Intelligenz, Kriegsberichterstattung und den Umgang mit Tech-Riesen wie Google und Co. Die westlichen Teilnehmer machten dabei eines deutlich: Es gibt für sie in vielerlei Hinsicht nur Gut und Böse, Schwarz oder Weiß. Autoritäre Herrscher, die versuchen, Journalismus und die freie Presse zu bekämpfen, und die Verteidiger der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite.
Welcher Seite sich Deutschland zuordnet, machte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gleich zu Beginn der Veranstaltung in seiner kurzen Gastrede deutlich. Er forderte die Freilassung von Wall Street Journal-Journalist Evan Gershkovich, der seit April in russischer Haft sitzt. Der Vorwurf: Spionage. Wüst betonte daher zusätzlich die Wichtigkeit eines freien Journalismus als Stütze der demokratischen Gesellschaften. Eine Medienlandschaft, die Mißstände aufdeckt und die Regierenden genau unter die Lupe nimmt, wünschte sich auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in ihrer Videobotschaft: „Freie Gesellschaften brauchen freie Medien. Um die Wahrheit zu berichten und um die Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen.“ Beim Thema Spaltungen setzt sie auf gemeinsamen Austausch: „Wir müssen bereit sein, die Perspektive des anderen zu verstehen.“
Preis für Oscar Martinez aus El Salvador
Unterschiedliche Perspektiven und Lageberichte, wie es um den Journalismus außerhalb der westlichen Welt steht, gab es dabei bereits am ersten Tag zur Genüge. Baerbock etwa gab die Situation einer russischen Exiljournalistin wieder, die mittlerweile aus dem lettischen Exil über ihre Heimat berichtet: „Ich war Kulturredakteurin bei einer großen russischen Medienfirma. Ich habe das Gefühl, daß meine Aufgabe jetzt darin besteht, politische Geschichten aufzubereiten und Bürgerjournalisten dabei zu helfen, ihre Stimme zu finden.“ Die eigene Stimme als Aufstand gegen die Obrigkeit erhob auch der Investigativjournalist Oscar Martinez aus El Salvador. Er bekam in diesem Jahr den „Freedom of Speech“-Award der Deutschen Welle zugesprochen, weil er in seinem Onlinemedium „El Faro“ über die Verbindungen der einheimischen Politiker zum kriminellen Milieu des zentralamerikanischen Staates berichtete. Die deutliche Botschaft: Journalisten außerhalb der westlichen Hemisphäre werden noch immer durch unterdrückerische Systeme bedroht, die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Einen Gegenpol zu bilden: für den Westen, der sich als Verteidiger demokratischer Werte versteht, ein ernstes Anliegen.
Doch kann es sich Europa, im besonderen Deutschland, überhaupt erlauben, sich in eben dieses Licht zu rücken? Fakt ist: Auch hierzulande beschneiden Staat und Plattformen zunehmend den freien Austausch, etwa in den sozialen Medien. Die Internetpolizei ist vermeintlichen Straftätern eifrig auf der Spur. Im Rahmen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes kam es in den vergangenen Jahren zu einem deutlichen Anstieg im Bereich der behördlichen Anfragen, beispielsweise um IP-Adressen potentieller Täter nachzuverfolgen. Lag die Zahl der Datennachfragen in Deutschland für die Plattform Facebook 2013 noch bei ca. 3.500, waren es im vergangenen Jahr mit 32.000 fast zehnmal so viele. Auch auf Youtube weiteten die Kontrolleure des sogenannten „Hate Speech“ ihre Tätigkeit aus. Gab es 2009 nicht einmal 500 Auskunftsersuchen seitens der Behörden, waren es 2021 über 45.000. Kaum verwunderlich also, daß auch die Regulierung der großen Netzwerke und Plattformen zur Diskussion stand.
Gegenüber Elon Musks Konzept eines möglichst offenen Meinungskorridors hegten einige Teilnehmer Zweifel. Vertrauen in die Freiheit des Wortes und den neuen Twitter-Eigentümers scheint nur wenig vorhanden: „Es ist alles von ihm abhängig. Es gibt keine Regeln, nur seine eigenen Geschäftsbedingungen. Und das ist der Grund, warum wir Regeln brauchen“, sagte etwa Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW. Im Umkehrschluß bedeutet das vor allem eines: mehr Netzkontrolle und mehr Löschungen. „Ich glaube nicht, daß es nur Selbstregulierung geben kann. Wir können der Industrie immer die Chance geben, aber am Ende muß es Sanktionen geben. Andernfalls akzeptieren sie die Regeln nicht“, so Schmid weiter. Auch den Ausstieg Twitters aus dem EU-Verhaltenskodex gegen Desinformation kritisierte er.
Das zeigt: Den Status quo verändern und damit seine Rolle als Regulator des Meinungskosmos aufgeben, möchte man auch im Westen nicht. Ein griffiger Tweet gegen die Corona-Politik der Bundesregierung? Im Zweifel Fake-News und Verschwörungstheorie. Ein Kommentar gegen die unkontrollierte Einwanderungspolitik der Bundesregierung? Im Zweifel „Haßsprache“. Alles Neue, das dazu beitragen könnte, das Monopol auf die Wahrheit, das Gute sowie das Böse aufzuweichen, wird bekämpft oder zumindest kritisiert.
Dazu gehört sicherlich auch künstliche Intelligenz. Die neue Technik hat Vor- und Nachteile. Zum einen kann der Einfluß sogenannter „Social Bots“ in den sozialen Medien dazu führen, daß demokratische Wahlen durch KI beeinflußt und manipuliert werden, andererseits hilft sie, beispielsweise Falschnachrichten überhaupt erst zu identifizieren. Ranga Yogeshwar geht in einer Talkrunde am zweiten Veranstaltungstag davon aus, daß auch der Journalismus stark beeinflußt werden wird: „Was passiert, wenn durch KI das Web in dem Sinne vergiftet wird, daß Sie Fakten überprüfen möchten und auf einen Artikel stoßen, ohne zu wissen, daß dieser ebenfalls von KI erstellt wurde?“
KI prägt mehrere Versionen von Wahrheit
Nicht nur das mediale System müßte den Wahrheitsbegriff neu denken, sondern auch die Politik. Wenn sich jeder eine eigene Realität, sogar eine eigene Vergangenheit schaffen kann, wird es nicht leichter, gesellschaftliche Teilungen zu überwinden. Wird der Wahrheitsbegriff zunehmend schwammiger, ist es dem Westen zukünftig kaum noch möglich, sich gegenüber dem globalen Süden als Repräsentant des Guten und Freiheitlichen zu präsentieren: Schließlich gibt es dann unzählige Versionen davon, was überhaupt das Gute ist.
Die Antwort auf den Kontrollverlust kann unterschiedlich ausfallen. Der Staat könnte seine Bürger von klein an im eigenverantwortlichen Umgang mit künstlichen Inhalten schulen, oder in Manier des „Großen Bruders“ gleich selbst vorgeben, was zu glauben ist. Welches Modell für einen Staat, der um möglichst wenig Kontrollverlust bemüht ist, wahrscheinlicher wirkt, kann jeder für sich selbst beantworten.