© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/23 / 30. Juni 2023

Alarmstufe Rot
Migrationsströme (Teil 2): Die florierenden Schleusergeschäfte lassen die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa nicht zur Ruhe kommen
Hinrich Rohbohm

Die Schuhe müssen draußen bleiben. Gianluca Di Palma hat das Deck seines Ausflugsbootes gerade auf Vordermann gebracht. Nur auf Socken geht es über den von  seichten Wellen schaukelnden Steg an Bord seines Schiffes, mit dem der 34jährige Touristen durch die Gewässer rund um die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa fährt.

Einst hatte der Bootskapitän als Flüchtlingshelfer auf der knapp 150 Kilometer von Afrikas entfernten Insel gearbeitet. Jener Insel, die im Verlauf der vergangenen Jahre zu einem Drehkreuz der Migration geworden ist. Laut Angaben der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex kamen dieses Jahr bisher allein über die zentrale Mittelmeerroute mehr als 50.000 Migranten nach Italien. Gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme von über 300 Prozent.

Vor 15 Jahren sei die Situation noch in Ordnung gewesen. „Weil es noch nicht so viele Migranten waren“, sagt Di Palma im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Dann wird der Gesichtsausdruck des Mannes ernst. „Aber seitdem wurden es immer mehr. Zu Beginn kamen sie vor allem im August. Aber jetzt: Jeden Tag. Jeden Tag“, wiederholt er seine Worte, um die Dramatik für die gerade einmal 20 Quadratkilometer große Insel und ihre 4.500 Einwohner zu unterstreichen.

Mit den Migranten kamen die Medienvertreter, die  über Bootsunglücke, Schlepper und die steigende Anzahl ankommender illegaler Zuwanderer berichten. „Wenn die Journalisten immer nur zeigen, wie hier Migranten ankommen, dann hilft das nicht dem Tourismus. Denn es gibt viele Leute, die glauben, die Migranten seien hier überall unterwegs. Aber das ist nicht der Fall. Man sieht sie gar nicht.“

Tatsächlich hat sich auf der Insel eine eingespielte Logistik entwickelt, die die Migration nach Europa routiniert abwickelt und den Blicken der Touristen weitgehend entzieht. Abgeschoben oder zurückgebracht nach Afrika wird von Lampedusa aus niemand von den Ankommenden. Vielmehr vollzieht sich hier ein Durchlaufprozeß, eine Abfertigung von Migranten zwecks Weiterreise nach Sizilien und auf das italienische Festland.

Ist es sonnig, warm und windstill, machen sich die Holzboote der Schlepper von Afrikas Küste auf Richtung Lampedusa. Anfangs hauptsächlich von Libyen, in den vergangenen Jahren zunehmend von Tunesien (JF 26/23).

Einige ihrer Boote liegen im Militärbereich des Hafens von Lampedusa vertäut. Auf einem davon steht mit schwarzer Farbe das Datum 09.06.2023 geschrieben. Was zeigt: Die Boote sind erst kürzlich auf der Insel angekommen.

„Wenn ich diese kleinen Boote sehe, die nach Lampedusa kommen, dann muß ich fast darüber lachen“, erzählt Di Palma. „Mit meinem Schiff von zwölf Metern Länge schaffe ich nicht den Weg nach Tunesien. Und die kommen mit Booten von fünf, sechs Metern Länge? Mit 60 Personen drauf?  Und einem 25-PS-Motor? Da muß ich einfach lachen, weil ich weiß, daß es unmöglich ist, mit so einem Boot hier anzukommen.“ Boote dieser Art hätten Platz für 100 Liter Treibstoff. In seinem eigenen habe er Kapazität für 900 Liter. „Doch selbst das würde nicht nach Tunesien reichen, der Weg ist zu lang.“ Vielmehr seien es „kriminelle Organisationen“, die von dem Leid der Migranten profitierten.

Di Palma meint damit vor allem die Schleuser und selbsternannten Seenotretter der Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Ausgestattet mit üppigen Spendengeldern in Millionenhöhe kreuzen NGOs mit immer besser ausgestatteten Schiffen vor den Hoheitsgewässern der afrikanischen Staaten, nehmen die Migranten aus den Schlepperbooten auf und bringen sie entweder zu den größeren Schiffen der italienischen Küstenwache oder direkt in einen Hafen des südeuropäischen Landes.

Ein Vorgang, der sich mit dem Amtsantritt der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni zu einem Katz- und-Maus-Spiel entwickelt hat. NGOs bringen die Insassen der Schlepperboote in italienische Hoheitsgewässer. Die Meloni-Regierung weist ihnen im Gegenzug Häfen im Norden Italiens zum einlaufen zu. Was für die NGO-Schiffe längere Fahrtstrecken bedeutet. Zeit, die ihnen verlorengeht, um weitere Migranten ins Land zu bringen.

Doch nicht alle halten sich an die Anweisung. Wie etwa die „Aurora“ , ein Schiff des Vereins Sea Watch. Einsam und verlassen liegt das Schiff unweit des Fähranlegers vertäut. Die italienischen Behörden hatten es vor zwei Wochen festgesetzt, nachdem es entgegen der Anweisung, einen nördlicheren Hafen anzulaufen, nach Lampedusa gefahren war.

Andere Organisationen wie etwa Alarmphone statten Migranten schon auf ihrem Weg durch Afrika mit einer Hotline-Nummer aus, bei der sie sich melden können, sowie sie die afrikanischen Hoheitsgewässer verlassen haben. Die Organisation verständigt in der Nähe befindliche Schiffe oder die Küstenwache, die von diesem Moment an zur „Rettung“ verpflichtet sind. Hinter Alarmphone verbirgt sich die Forschungsgemeinschaft Flucht & Migration e.V., die ihren Sitz im Mehringhof in Berlin hat, einem Zentrum der sogenannten linksautonomen Szene.

Noch jemand taucht auf: Dariush Beigui, ehemaliger Kapitän des festgesetzten Schiffes „Iuventa“, dessen Besatzung bei der italienischen Staatsanwaltschaft unter Verdacht steht, Beihilfe zum Einschleusen illegaler Migranten nach Italien geleistet zu haben. Der Hafenschiffer aus der Hamburger Punk-und Schanzenszene posiert mit Bierflasche in der Hand triumphierend vor einem Kamerateam. Mit ankommenden Migranten im Hintergrund. 

„Die NGOs haben die Probleme 

mit ihren Aktionen erst ausgelöst“

Di Palma lehnt die Aktivitäten dieser NGOs ab, wenngleich er zugesteht, daß tatsächlich in Seenot geratene Menschen gerettet werden müssen. „Man kann sie nicht sterben lassen. Aber wenn diese NGOs aus Deutschland kommen, aus Spanien, Frankreich oder Schweden, dann sollen sie die Migranten auch in ihre Länder bringen. Denn sie verdienen Geld damit.“ Der 34jährige ist sich nicht sicher, ob es den NGOs wirklich nur um die Rettung von Menschen geht oder um Geld. „Die Antwort wissen wir nicht, aber die Sache stinkt.“

Auch Luca, ebenfalls auf einem  Ausflugsschiff  tätig, bestätigt: „Die NGOs haben mit ihren Aktionen die Probleme erst ausgelöst.“ Und damit jene Migrations-Logistik befeuert, die die Zuwanderer nach Europa transportiert. „Den Großteil bringen Polizei, Küstenwache und Militär rein, in den militärischen Bereich des Hafens.“ Dort: Kein öffentlicher Zutritt, Rotkreuz-Busse schaffen die Angekommenen in das nur wenige Kilometer entfernte und streng bewachte Aufnahmecamp. Soldaten mit Maschinenpistolen sind rund um das Lager postiert. Der Zutritt ist auch hier nicht gestattet.

„Dort sind sie aber nur ein bis zwei Tage, maximal drei“, schildert Luca, der seit 30 Jahren auf der Insel lebt. Per Fähre geht es nach Sizilien. „Heute transportieren wir 110 Migranten“, verrät der JF ein Rotkreuz-Mitarbeiter am Fähranleger. Später kommt ein Bus mit knapp 30 weiteren Schwarzafrikanern angefahren. Auch sie kommen auf die Fähre. „Von Sizilien aus verteilen sie sich dann aufs ganze Land“, verdeutlicht Luca. Die wenigsten werden dort eine Anerkennung als Asylbewerber erhalten. Ebenso kaum eine finanzielle Versorgung durch den Staat. Dafür ist bei den Migranten ein anderes Ziel in Aussicht: Deutschland.