Rudolf Rempel war kein Untertan, sondern der Glasunternehmer kämpfte vor 175 Jahren als Chefredakteur der westfälischen Wochenschrift Der Volksfreund für „Freiheit, Wohlstand und Bildung für Alle“. Nach dem Scheitern der Revolution engagierte er sich bis zu seinem Tod 1868 als Liberaler in Bielefeld gegen Adel und Junkertum. Sein Sohn Rudolf Arnold Rempel wurde dennoch berühmter: Der Gelsenkirchener Chemiker meldete am 23. April 1892 eine Technik zum Patent an, die zunächst nicht so hieß – das Einwecken. Den Namen prägte der Unternehmer Johann Carl Weck, der mit seiner 1900 gegründeten Firma eine Ära begründete.
Und die droht zu enden: Die badische J. Weck GmbH & Co. KG sowie die Weck Glaswerke in Bonn mußten vorige Woche Insolvenzanträge beim Amtsgericht Karlsruhe einreichen. Gibt es künftig keine Einweckgläser mehr, keine Einkochringe und Einkochtöpfe? Verdirbt den Kleingärtnern geerntetes Obst und Gemüse? Und müssen die 370 Mitarbeiter nach dem Auslaufen des Insolvenzgeldes im August zum Arbeitsamt? Dies soll der Freiburger Insolvenzverwalter Thilo Braun möglichst verhindern.
Doch das dürfte sehr schwierig werden: „Die Glasherstellung ist energieintensiv“, erklärte Geschäftsführer Eberhard Hackelsberger. „Die eingesetzten Schmelzöfen können nicht einfach abgeschaltet werden, ohne daß sie dabei irreparabel beschädigt werden.“ Aber Strom und Erdgas sind in Deutschland aus politischen Gründen knapp und teuer – und das belastet die Glasindustrie besonders. Ins Nachfragetief rutschten allerdings nicht die Weckgläser mit Gummiring, die nur zehn Prozent des Umsatzes ausmachen, sondern das Hauptgeschäft mit klassischen Drehverschlüssen auf Gurken-, Senf- und Marmeladengläsern.
Ähnliche Gründe wie bei Weck trieben vorige Woche auch die Römertopf Keramik GmbH & Co. KG im Westerwaldkreis in die Pleite. Die Produktion in Deutschland wird wohl eingestellt und die 44 Mitarbeiter in Ransbach-Baumbach verlieren so ihre Stelle. Vielleicht bleibt aber die Topffertigung in Portugal erhalten. So weit ist es bei Weck noch nicht: „Unternehmen und Produktion werden weitergeführt, die Kundschaft kann die Waren weiter beziehen“, verspricht Insolvenzverwalter Braun. Das gasbetriebene Glaswerk sei „technisch sehr gut ausgerüstet“ und habe „durchaus seine Berechtigung am Markt“.
Im ersten Quartal bereits 4.117 beantragte Firmeninsolvenzen
Doch wie lange noch? Auch die Glasindustrie soll wie die gesamte deutsche Wirtschaft „klimaneutral“ werden. Das führe schon jetzt zu betrieblichen Mehrkosten und „zu einem Nachteil im Wettbewerb mit internationalen Konkurrenten, die ihre Produkte unter weniger anspruchsvollen Rahmenbedingungen produzieren können“, heißt es in der Studie „Glas 2045“ der Uni Stuttgart für den Bundesverband Glasindustrie.
Düster sieht es auch für die Allgaier Werke im schwäbischen Uhingen aus, die am 21. Juni beim Amtsgericht Göppingen Insolvenz anmeldeten. Hier geht es um weltweit 1.700 Beschäftigte – und eine deutsche Schlüsselbranche, die Autoindustrie. Der ehemalige Arbeitsgeberpräsident Dieter Hundt hatte vor einem Jahr 88,9 Prozent seiner Anteile an dem Autozulieferer und Maschinenbauer an die chinesische Westron Group verkauft. Der Rest verblieb bei Hundts Kindern. Der neue Chef Scanny Cai sei ein „sehr kompetenter“ Mann, der das Zeug habe, „das Unternehmen erfolgreich zu führen“, so Hundt damals. Doch die Finanzspritze der Chinesen von 50 Millionen Euro brachte keine Rettung.
„Der Ukrainekrieg, steigende Preise für Energie und Logistik sowie erhöhte Personalkosten wurden begleitet von reduzierten Abrufzahlen der Kunden im Bereich Automotive. Bereits früh war klar: Der geplante Umsatz für 2022 wird nicht erreicht“, verkündete die Allgaier-Führung am 30. November. Aber der Auftragseingang habe „einen Höchstwert erreicht, was zeigt, daß unsere Kunden uns als zuverlässigen Partner sehen. Da die bestehenden Fertigungsflächen nicht mehr ausreichen, planen wir in Europa eine neue Fertigungsstätte“, so Geschäftsführer Volker Brielmann. Doch die Chinesen stellten nun ihre Finanzierung ein. Daran kann auch Insolvenzverwalter Fritz Zanker nichts ändern.
Dabei hatte Hundt noch 2018 im Alter von 80 Jahren zugestimmt, trotz „gefährlicher geopolitischer und wirtschaftlicher Unsicherheiten“ zehn Millionen Euro in ein neues Gebäude und die Sparte „Process Technology“ am Standort Uhingen zu investieren. Doch Allgaier ist kein Einzelfall: Im ersten Quartal 2023 haben deutsche Amtsgerichte 4.117 beantragte Unternehmensinsolvenzen gemeldet – 18,2 Prozent mehr als im Vorjahresquartal. Die Gläubiger-Forderungen stiegen dabei sogar von 3,9 auf 6,7 Milliarden Euro an.