Nach dem Tod von Parteigründer Silvio Berlusconi kämpft die von ihm vor knapp 30 Jahren gegründete Forza Italia (FI) ums Überleben. Der Parteivorstand hat den Außenminister und bisherigen Vizechef Antonio Tajani mit der Führung der Geschäfte beauftragt. Er soll auf einem anstehenden Parteitag zum neuen Vorsitzenden gewählt werden. Es ist die erste Wahl des Parteivorsitzenden in der Geschichte der liberal-konservativen Partei, die sich in den neunziger Jahren anschickte, die korrupten Christdemokraten abzulösen, zuletzt aber nur noch acht Prozent der Stimmen erreichte.
Dennoch erfüllte die Forza Italia als Mehrheitsbeschaffer in Giorgia Melonis Mitte-Rechts-Koalition eine wichtige Funktion. Der pro-europäische Berlusconi und der ehemalige EU-Funktionär Tajani standen aus Sicht Brüssels für Stabilität und Vertrauen. Wohl auch durch ihre Einbindung fielen die Proteste nach dem Wahlsieg von Melonis Brüder Italiens verhältnismäßig moderat aus.
Berlusconi hatte die Forza Italia nach dem Zusammenbruch des alten Parteiensystems aus dem Boden gestampft und Italien eine liberale Revolution versprochen. Er gewann mit ihr die Wahlen von 1994 aus dem Stand. Bis 2011 sollte er insgesamt neun Jahre lang Italiens Regierungschef sein, so lange wie niemand sonst seit 1945.
Sorge, daß viele von der Forza zu Melonis Fratelli d’Italia wechseln
Umstritten war der Cavalliere stets, seine Partei führte er stringent wie seine Unternehmen. Kronprinzen wurden aufgebaut und wieder fallengelassen. Zur Wahl stellte er sich nie. Parteitage glichen einem Fan-Club-Treffen. Wenig zimperlich war Berlusconi, der Anfang Juni im Alter von 86 Jahren starb, auch in der Auswahl seiner Bündnispartner.
Die neofaschistische Sozialbewegung MSI machte er als Koalitionspartner salonfähig, überredete deren Anführer Gianfranco Fini Jahre später, die Nachfolge-Organisation „Alleanza Nationale“ mit der FI zu fusionieren. Doch die Halbwertszeit der konservativen Sammlungsbewegung „Volk der Freiheit“ war kurz. Berlusconi überwarf sich mit Fini, benannte die Partei wieder um und stand nach zahlreichen Abspaltungen wieder alleine da.
Mit Hilfe seines Medienimperiums schaffte er es immer wieder in die Parlamente. Doch die Zeiten, in denen die FI für mehr als 20 Prozent gut war, sind lange vorbei. „Es war schon mal der Weg in Richtung Ende. Wie tief das Ganze noch sinken muß, das bleibt offen. Es gibt aber Meinungsforscher, die sagen, daß die Partei beim nächsten Mal unter die 5-Prozent-Schwelle fallen wird“, sagt der freie Journalist und Italien-Kenner Gerhard Murmelter.
Mehr als 100 Millionen Euro sollen die Verbindlichkeiten betragen, die die FI den Firmen Berlusconis schuldet. „Man muß auch abwarten, wer von der alten Garde noch zu dieser Partei Berlusconis steht und wer längst eingesehen hat, daß hier praktisch nur Leichen zum Leben erweckt werden sollen, politische Leichen natürlich“, blickt Murmelter auf die wenigen politischen Schwergewichte, über die die Partei noch verfügt.
Ob Berlusconis Erben auch sein politisches Erbe antreten werden, ist noch offen. Tajani setzt jedenfalls darauf. „Wir haben unseren Polarstern verloren, doch wir sind entschlossen weiterzumachen. Forza Italia wird immer die Partei von Silvio Berlusconi bleiben“, beschwor Tajani. Berlusconis ältere Tochter Marina habe die Unterstützung der Familie für die Forza Italia bekräftigt. „Marina Berlusconi hat mir gegenüber die Wertschätzung, Zuneigung und Verbundenheit ihrer gesamten Familie mit der Forza Italia beteuert“, betonte Tajani, der wohl mit Hilfe von Berlusconis Familie an die Parteispitze kommen möchte.
Ob die Wähler diesen Kurs mittragen, darf bezweifelt werden. In Italien geht man davon aus, daß ein Großteil von ihnen zu Meloni überwechseln wird. Und daß viele Abgeordnete auf ein sicheres „Fratelli-Ticket“ umbuchen werden, gilt als ebenso wahrscheinlich.
Ungeachtet dessen verzeichnete die von Forza Italia initiierte Post-Berlusconi-Mitgliederkampagne in Palermo einen regen Zuspruch. An den beiden von der Stadtkoordination errichteten Pavillons auf der Piazza Castelnuovo und am Valdesi-Kreisel sei eine massive Präsenz festgestellt worden, zitierte Palermo Today den Stadtkoordinator von Forza Italia, Domenico Macchiarella: „Alle von der Partei zur Verfügung gestellten Karten sind ausverkauft.Es sei eine „Wahlbeteiligung, die an die Blütezeit von Forza Italia“ erinnere.
„Forza Italia“, so Macchiarella weiter, „bestätigt sich als eine attraktive Partei, die wie nie zuvor ein sehr präzises ‘Gefühl’ repräsentieren soll, das von der gemäßigten und liberalen Wählerschaft geteilt wird, die in Italien immer noch stark in der Mehrheit ist. Es ist in erster Linie eine faszinierende Herausforderung, die uns in den kommenden Monaten erwartet, und dann eine moralische Verpflichtung gegenüber denjenigen, die wie Silvio Berlusconi eine unglaubliche Bewegung von Menschen geschaffen und bis zum Schluß für die Verteidigung ihrer Idee von Freiheit gekämpft haben.“
Könnte die Eröffnung und Verlesung des Testaments von Silvio Berlusconi auch Auswirkungen auf die Führung von Forza Italia haben? fragte dagegen Agenda Politica zu Beginn dieser Woche. Viele stellten sich in diesen Tagen die Frage: „Könnte Berlusconi in den verschiedenen testamentarischen Verfügungen auch Hinweise für die Partei hinterlassen haben?“ In diesen Stunden überlagerten sich „viele Gerüchte, angefangen bei der Rolle, die Silvio Berlusconis Lebensgefährtin Marta Fascina, die seit dem Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten schweigt, spielen“ könnte. „Kurzum, wird es eine testamentarische Regelung geben oder nicht, die auch die Forza Italia betreffen wird? Wir müssen noch ein paar Tage abwarten.“