© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/23 / 30. Juni 2023

Rechtsextremismus mal anders
Graue Wölfe: Die türkischen Ultranationalisten werden seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet. Doch sie wachsen rasant und sind politisch bestens vernetzt, vor allem in Nordrhein-Westfalen / Spuren führen zur CDU
Peter Hemmelradt

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang (CDU), stellten am Dienstag voriger Woche den Jahresbericht des Bundesamtes für 2022 vor. Dabei bezeichneten beide den Rechtsextremismus als weiterhin größte Bedrohung. Dennoch sagten Faeser und Haldenwang nichts dazu, daß laut des Berichts das Personenpotential des türkischen Rechtsextremismus in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr von 11.000 auf nunmehr 12.100 angestiegen ist. Nach der Stagnation der Vorjahre entspricht dies einem Zuwachs von zehn Prozent.

Armin Laschet als Initiator für Kooperationen

Unter türkischem Rechtsextremismus verstehen Verfassungsschützer die auch als „Graue Wölfe“ bezeichnete Ülkücü-Bewegung. Deren Ideologie „fußt auf einer extrem nationalistischen bis rechtsextremistischen Ideologie, die maßgeblich von Elementen wie Rassismus und Antisemitismus geprägt wird“, so der Bericht. Die beiden größten Organisationen dieser Art in Deutschland, die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine (ADÜTDF) sowie die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB), werden seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet. Zur ATIB heißt es im Bericht: „So ist die ATIB beispielsweise Gründungsmitglied des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) und auch aktuell mit einem Mitglied im Vorstand 

des ZMD vertreten.“

Damit dürfte Özlem Basöz gemeint gewesen sein. Was der Verfassungsschutz in seinem Bericht jedoch verschweigt: Basöz ist kein einfaches Mitglied der ATIB, sondern deren Generalsekretärin. Seit 2022 ist sie auch eine der Stellvertreterinnen von Aiman Mazyek beim ZMD. Und sie ist auch stellvertretende Vorsitzende des Integrationsrats in Hagen (NRW) sowie langjähriges Mitglied der CDU. Daß sich eine „Multifunktionärin“ der Grauen Wölfe auch noch in der CDU politisch betätigt, ist in 

Nordrhein-Westfalen kein Einzelfall: So konnten bei der Kommunalwahl 2020 in mehreren NRW-Städten bekannte Graue Wölfe auf CDU-Listen für politische Ämter kandidieren.

In Neuss konnte ein hoher ADÜTDF-Funktionär bis Anfang dieses Jahres gleichzeitig in der CDU kommunalpolitisch aktiv sein, ohne daß sich die Partei daran störte. Erst als die Neusser Yunus-Emre-Moschee, deren Vorsitzender er auch noch war, wegen einer Hetzrede eines türkischen AKP-Politikers bundesweit in die Schlagzeilen geriet, reagierte die Partei mit der Ankündigung eines Gesprächs. Das endete dann mit dem Austritt des Mannes. Wenige Monate zuvor hatte der Neusser CDU-Landtagsabgeordnete Jörg Geerlings der Yunus-Emre-Moschee noch einen Besuch abgestattet, obwohl deren Zugehörigkeit zu den Grauen Wölfen sowie die daraus resultierende Beobachtung durch den Verfassungsschutz längst bekannt war.

Diese Verflechtungen gehen zurück auf die Politik des ehemaligen Landesvorsitzenden Armin Laschet, der die CDU für Muslime öffnen wollte. Dabei maß Laschet der Abgrenzung gegenüber Extremisten aber keine Bedeutung bei. Das führte schnell zu kritischen Presseberichten sowie Protesten konservativer CDU-Politiker. „Ich will keine Rechtsextremisten in der CDU, weder deutsche noch türkische“, sagte etwa die damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel 2014 unter dem Beifall der Basis in Neuss.

Der Innenminister unternimmt nichts dagegen

Armin Laschet aber bestritt Graue Wölfe in der CDU und behauptete auf Twitter, es gäbe „Leute, die sehen dauernd Gespenster“. Jahrelang gelang es ihm, die kritischen Presseberichte dazu ebenso auszusitzen wie den innerparteilichen Protest. Als der CDU-Kreisverband Berlin-Neukölln beim CDU-Bundesparteitag 2016 in Essen einen Unvereinbarkeitsbeschluß beantragte, der nahezu alle in Deutschland aktiven islamistischen Organisationen umfaßte, sprach er sich sofort dagegen aus. Die Mehrheit der Delegierten folgte ihm und stimmte gegen den Beschluß. Damit verstößt die Mitgliedschaft von Islamisten in der CDU bis heute nicht gegen deren Satzung.

Fast zehn Jahre nachdem sie zum erstmals davor gewarnt hatte, beurteilt Sylvia Pantel die Entwicklung düster: „Das war doch so absehbar“, sagte sie kurz, als sie von der JF auf die Zahlen des Verfassungsschutzberichts angesprochen wurde.

Auch nach dem Weggang von Armin Laschet in Richtung Berlin zeichnet sich in der nordrhein-westfälischen CDU keine Bereitschaft zur Änderung dieser Praxis ab. Kritische Nachfragen der AfD-Fraktion im Landtag zu den personellen Verflechtungen islamistischer Organisationen mit der NRW-CDU beantwortet Landesinnenminister Herbert Reul seit Jahren stets nur kurz und eher patzig. Zumeist antwortet der CDU-Politiker, seine Partei sei „kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes“.

Ähnlich antwortete Reul, als er im Februar von der AfD-Landtagsfraktion gefragt wurde, wie er die Mitgliedschaft der Graue-Wölfe-Funktionärin Basöz in der CDU beurteile: „Die Landesregierung hat die Mitgliedschaft einer Person in einer politischen Partei nicht zu bewerten.“ Und eine Statistik zu Grauen Wölfen in der NRW-CDU gehöre, so der CDU-Politiker weiter, nicht zum Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes. Mit der Taktik solcher Antworten hat Herbert Reul inzwischen etwas geschafft, was zuvor nicht einmal Armin Laschet gelungen war: nämlich die Beendigung aller medialen, innerparteilichen und parlamentarischen Debatten darüber, daß Funktionäre von vom Verfassungsschutz beobachteter islamistischer als auch rechtsextremistischer Organisationen gleichzeitig in der CDU politisch aktiv sein dürfen.