© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/23 / 30. Juni 2023

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Gefräßiges Bürokratiemonster
Paul Rosen

Unnötige Bürokratie kostet die Bürger Zeit und bremst die Wirtschaft“, heißt es in einer Darstellung der Bundesregierung, wo ein Abbau der Bürokratie versprochen wird. Praktiziert wird allerdings das Gegenteil: Der Gesetzgeber hat mit dem „Lobbyregister des Bundestages“ ein Bürokratiemonster ohnegleichen geschaffen. Wie schnell man in Berlin in die Fänge dieses Monsters geraten kann, macht ein kleines Beispiel deutlich: Ein Mitarbeiter eines Verbandes stellt auf einer Veranstaltung einem Bundestagsabgeordneten eine Frage aus seinem Arbeitsbereich. Was geantwortet wird, ist der Bürokratie egal, aber die Folgen sind enorm: Der Mitarbeiter muß die Veranstaltung und deren Dauer bei seinem Arbeitgeber (dem Verband) melden. Der Arbeitgeber führt zum Nachweis ein internes Lobby-Konto für seinen Mitarbeiter. Aus dessen Jahresgehalt, anteiligen Mietkosten für das Büro und weiteren Kosten wie Beiträgen zur Berufsgenossenschaft wird der Lobbying-Anteil von der Arbeit des Mitarbeiters als Stundensatz ermittelt. Die Abendveranstaltung hat vielleicht mit Buffet vier Stunden gedauert und wird entsprechend auf dem Lobbying-Konto verbucht. Selbst Anrufe in Abgeordnetenbüros wegen Terminanfragen werden notiert und entsprechend auf das Lobbying-Konto gebucht. Für die dann folgende Veröffentlichung im Lobbyregister müssen Interessenvertreter Angaben „zu den finanziellen Aufwendungen im Bereich der Interessenvertretung, die im letzten abgelaufenen Geschäftsjahr angefallen sind, in Stufen von jeweils 10.000 Euro machen“, heißt es in einem vom Bundestag herausgegebenen Handbuch zum Lobbyregister, das über 200 Seiten umfaßt.

Bei so viel Bürokratie läuft natürlich einiges schief, so daß die Bundestagsverwaltung bisher über 2.000 der registrierten 5.762 Lobbyisten wegen offensichtlich falscher Angaben anschrieb. Denn in der Liste der Lobby-Organisationen fand sich der Deutsche Kanu-Verband mit einem Lobby-Aufwand von 5,71 Millionen Euro ziemlich weit oben. Das kann jedoch genausowenig sein wie die Angabe der Asklepios-Klinik Bad Oldesloe, die 791 ihrer Mitarbeiter als Lobbyisten auswies. Bisher beschränkt sich die Bundestagsverwaltung auf nette Hinweise, wenn etwas offensichtlich falsch angegeben wird. Doch sie könnte auch Geldbußen zwischen 20.000 und 50.000 Euro verhängen.

Jetzt wird das Monster noch größer. Die Hauptfinanzierungsquellen und Mitgliedsbeiträge müssen ausgewiesen werden, Kontakte in die Regierung bis hinunter zu Referatsleitern (bisher Unterabteilungsleiter) sind auch zu berücksichtigen. Außerdem ist anzugeben, welche ehemaligen Politiker in  Verbände gewechselt sind. Ein großer Bereich des Lobbying in Berlin wird jedoch weiterhin komplett ausgespart: Fraktionen und Abgeordnete müssen nach wie vor keine Angaben zu ihren Mitarbeitern machen, ob sie eventuell von Unternehmen oder Organisationen abgestellt worden sind und damit unmittelbar Einfluß auf die Gesetzgebung nehmen können. Hier brauchte es tatsächlich mehr Transparenz.