Wenn deutsche Politiker von einem „guten Tag für die Bundesrepublik Deutschland sprechen“ und nicht gerade ein Sieg bei den Olympischen Spielen oder einer Weltmeisterschaft gemeint ist, sollten bei allen
gesetzestreuen Bürgern die Alarmglocken läuten. Dann geht es ans Eingemachte, an die Grundrechte, dann droht „dem deutschen Volk“ Ungemach. Im konkreten Fall ist es das vom Bundestag mehrheitlich beschlossene – CDU/CSU und AfD stimmten dagegen, die Linke enthielt sich – Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) als das „modernste Einwanderungsrecht der Welt“ gelobt wurde.
Es sei wichtig, in der Berufsanerkennung und in der Erteilung von Visa schneller als bisher zu reagieren, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und erteilt die Generalabsolution: Beruflich qualifizierte Menschen aus anderen Ländern seien keine Minderqualifizierten. Das Gesetz sieht vor, daß ausländische Fachkräfte leichter nach Deutschland kommen können. Schließlich hätten viele deutsche Unternehmen seit langem große Schwierigkeiten, qualifizierte Mitarbeiter für ausgeschriebene Stellen zu finden. Flankierend war Bundeskanzler Olaf Scholz bereits in Afrika und Südamerika unterwegs, um den dort lebenden Menschen einen Umzug nach Deutschland schmackhaft zu machen.
Tatsächlich waren nach Angaben des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Ende 2022 fast zwei Millionen Stellen unbesetzt – so viele wie noch nie. Der Mangel an Fachkräften „gilt als eine der größten Wachstumsbremsen für die Wirtschaft in Deutschland“, heißt es auf der Internetseite des Ministeriums, als gebe es nicht zahlreiche andere Gründe, warum Unternehmen in Insolvenz gehen oder Deutschland den Rücken kehren: etwa steigende Mindestlöhne, Energiekosten, Rohstoffpreise und Nachhaltigkeitsverpflichtungen.
Nach Angaben des Innenministeriums werden einige Regelungen bereits ab November in Kraft treten, andere sechs beziehungsweise neun Monate nach Verkündung, damit die betroffenen Behörden ausreichend Zeit haben, die neuen Regelungen auch umsetzen zu können. Wer also in seinem Heimatland einen Abschluß hat, soll künftig jede qualifizierte Beschäftigung in Deutschland ausüben können, also auch in Berufen, für die sie keine Qualifikation besitzen. Auch wer mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluß hat, soll als Arbeitskraft einwandern können. Der Berufsabschluß muß künftig nicht mehr in Deutschland anerkannt sein. All das bedeutet aus Sicht des Gesetzgebers „weniger Bürokratie und damit kürzere Verfahren“.
Pflegehilfskräfte unterhalb des Fachkräfteniveaus
Und neu eingeführt wird eine Chancenkarte zur Arbeitssuche, die auf einem Punktesystem basiert. Zu den Auswahlkriterien gehören Qualifikation, Deutsch- und Englischkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug, Alter und mitziehende Lebens- oder Ehepartner. Ab der ersten Jahreshälfte 2024 soll es diese geben. Aktuell brauche man eine Vielzahl von Anträgen, wenn man zum Beispiel eine Pflegekraft aus dem Ausland holen will, so Faeser. „Damit muß Schluß sein.“ Ausländische Pflegehilfskräfte erhalten laut Gesetz sogar künftig unterhalb des Fachkräfteniveaus Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Ministerin schwärmt seit ihrem Tunesienbesuch von den dortigen Fachkräften, von denen sie immerhin über die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zwei kennengelernt hat: einen 27jährigen Kfz-Mechaniker mit „technischem Abitur“ und eine 24jährige mit Hochschulreife und einem Berufsabschluß im Bereich Logistik.
Beide gehören offenbar zu den rund 16 Prozent Arbeitslosen in dem nordafrikanischen Land. Klar, daß wir „dafür sorgen müssen, daß solche Menschen erfolgreich den Weg zu uns finden“, so Faeser. Von dieser Regelung sollen neben Afrikanern und Latinos vor allem Menschen aus dem Westbalkan profitieren, aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien. Die bis Ende des Jahres befristete Westbalkan-Regelung wurde entfristet und das Kontingent auf jährlich 50.000 Personen verdoppelt.