© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/23 / 30. Juni 2023

Ländersache: Sachsen
Ehrenamtliche Busfahrer gesucht
Paul Leonhard

Neißeaue, Deutschlands östlichste Gemeinde, ist mit dem öffentlichen Nahverkehr nur noch schwer erreichbar. Der Landkreis hat kein Geld, um den Linienverkehr mit Bussen im ländlichen Raum flächendeckend aufrechtzuerhalten, deswegen übernehmen zunehmend Bürger. Bäckermeister Sebastian Gies beispielsweise holt einmal die Woche Seniorinnen zum Einkauf und Arztbesuch ab und bringt sie wieder zurück, lobt die Sächsische Zeitung die Initiative des Handwerkers. Die Staatsregierung in Dresden sieht darin die Zukunft.

Vorerst knapp 300.000 Euro hat das Ministerium für Regionalentwicklung gerade für ein auf drei Jahre begrenztes Pilotprojekt „Impulsregion Bürgerbus“ bereitgestellt. In diesem Zeitraum sollten „Bürger fahren für Bürger“ dafür sorgen, daß in Kleinbussen, die einzelnen Ortschaften der Gemeinden untereinander erreichbar sind. Unklar ist nur, wer denn ehrenamtlich Busse steuern soll.

 Dabei hätte man nur in den Westen der Republik schauen müssen, wo seit Jahrzehnten Bürgerbusse fahren. In Hessen ist das „Prinzip Bürgerbus“ beispielsweise exakt definiert: „Bürgerbusse ergänzen die bestehenden Mobilitätsangebote, sie können und sollen aber den ÖPNV nicht ersetzen“, sondern werden mit ehrenamtlichen Fahrern auf Strecken eingesetzt, die für eine regelmäßige Nutzung im ÖPNV wirtschaftlich nicht vertretbar sind. Die aktuell 110 Kleinbusse wurden hier über eine Anschubfinanzierung des Landes beschafft, außerdem hilft die Landesstiftung „Miteinander in Hessen“ und das Fachzentrum „Mobilität im ländlichen Raum“.

 Das größte Problem aller Vereine ist es, den Betrieb mit ausreichend ehrenamtlichen Fahrern dauerhaft zu gewährleisten. Fährt in Brandenburg der „Bürgerbus“ im Rahmen des ÖPNV nach einem festen Fahrplan, so wurde das seit 1996 bestehende Betriebsmodell – feste Linie, feste Haltstellen – in Freinsheim in Rheinland-Pfalz im Herbst 2022 aufgegeben. Seitdem werden alle Fahrgäste auf telefonische Vorbestellung an der Haustür abgeholt. Auch in Landau in der Pfalz muß telefonisch vorbestellt werden. Mögliche Fahrten liegen dann in einem Zeitfenster von dienstags bis donnerstags von 8 bis 18 Uhr.

Im Landkreis Kusel in Rheinland-Pfalz fahren Kleinbusse in drei Verbandsgemeinden so erfolgreich, daß die Initiative von der EU „als „Leuchtturmprojekt“ ins europäische Forschungsprojekt SMARTA-NET integriert werden soll. Dort sucht man im Rahmen des neuen Europäischen Mobilitätsnetzwerkes für Ländliche Mobilität (ERMN) positive Beispiele. „Bürgerbus“ könnte also bald ein Lehnwort werden, das in alle europäischen Sprachen Einzug hält.

 An der deutsch-polnischen Grenze könnte es dagegen zum Synonym für ein weiteres gescheitertes Projekt werden, denn die Staatsregierung finanziert hier keinen Busfahrer. Schließlich sei Hilfe zur Selbsthilfe beantragt worden. Im nahen Boxberg mit seinen 18 Ortsteilen wäre der „Bürgerbus“ 2022 an der Vorgabe der Ehrenamtlichkeit fast gescheitert. Da sich keine Bürger als Fahrer fanden, wurde schließlich ausgeschrieben und ein Reisebusunternehmen gewonnen.